Debakel für Merkel: AfD vor CDU

Spitzenkandidat der AfD: Leif-Erik Holm
Rechte jubeln über 21 Prozent, SPD verteidigt Platz eins.

Es sind nur zwei Prozent. Aber diese zwei Prozent wiegen schwerer als die gut 19, die die CDU am Sonntag erreicht hat: Die AfD hat es erstmals geschafft, bei einer Wahl vor der CDU zu liegen – in Mecklenburg-Vorpommern ziehen die Rechtspopulisten mit 21 Prozent als zweitgrößte Fraktion in den Landtag ein und demütigen Merkels Partei damit wie nie zuvor. Die SPD, die mit Erwin Sellering den Ministerpräsidenten stellt, kann sich zwar auf Platz eins behaupten, muss aber Einbußen hinnehmen – wie auch alle anderen Parteien.

Das ist ein Ergebnis, das vor Protest nur so strotzt. In der CDU blieb es bei der Ausstrahlung der Ergebnisse still – mit Platz drei ist real geworden, wovor Angela Merkels Partei am meisten gezittert hat: Man hat die Ohrfeige für die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin kassiert. Irgendwie wirkt es da schicksalshaft, dass Merkel auf den Tag genau vor einem Jahr jenen Schritt setzte, der ihre Partei am Sonntag so viel Zustimmung kostete – da ließ sie die Grenzen öffnen und die in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge nach Deutschland ziehen. Ein Jubiläum, das in der CDU niemanden in Feierlaune versetzt.

"Anfang vom Ende"

Debakel für Merkel: AfD vor CDU
Stimmen in Prozent - Säulengrafik; Sitzverteilung - Tortengrafik GRAFIK 0999-16, 88 x 88 mm

Jubel gab es nur bei der AfD. "Vielleicht ist das heute der Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Angela Merkels", rief Spitzenkandidat Leif-Erik Holm von der Bühne, und da war viel Schadenfreude dabei. Schließlich fuhr der Ex-Radiomoderator mit kaum nennenswerter politischer Erfahrung seinen Erfolg in Merkels Hinterland ein: Mecklenburg-Vorpommern ist ihre politische Heimat, ihr Wahlkreis liegt dort. Insofern ist der Begriff "Schicksalswahl", den sie am Samstag noch vor ihrem Flug zum G20-Gipfel nach China wählte, doppelt bedeutungsschwanger. Bei ihrer Rückkehr am Dienstag wird eine Welle der Kritik über sie hereinbrechen.

Die Gründe dafür, warum die Wähler eher den Parolen der AfD als dem moderaten Angebot von CDU-Spitzenkandidat Lorenz Caffier gefolgt sind, liegen allerdings weniger in den Problemen, die Mecklenburg-Vorpommern tatsächlich mit Merkels Flüchtlingspolitik hat. Das am dünnsten besiedelte Bundesland hat zwar die Ausmaße Belgiens, auf die 1,6 Millionen Einwohner kommen aber gerade einmal 22.000 Flüchtlinge. Viel schwerer wiegt, dass das Land noch immer unter hoher Arbeitslosigkeit leidet, dass durch die massive Abwanderung nach der Wende überall Infrastruktur fehlt. Viele Gemeinden haben keinen Kindergarten, keine Schule mehr; oftmals mangelt es am öffentlichen Verkehr. Die jüngere, besser ausgebildete Generation ist weggezogen; das Land, das zum Sinnbild Helmut Kohls "blühender Landschaft" hätte werden sollen, verödete seit den 1990ern zusehends.

Das hat sich zwar in den vergangenen Jahren gebessert – die Wirtschaft wächst, die Abwanderung ist gestoppt –, der Frust der Bürger sitzt aber noch immer tief. Mit ein Grund dafür ist, dass die NPD diese Wut immer wieder anstachelt: Die Neonazi-Partei ist vor allem dort groß, wo es an Infrastruktur fehlt – hier dient sie sich den Bürgern gern als helfende Hand an, organisiert Fahrdienste, kümmert sich um Ältere, organisiert Feste.

AfD statt NPD

Dass die NPD nun selbst Wähler an die AfD verliert und aus dem letzten Landtag fliegt, in dem sie noch vertreten war, irritiert wenige Beobachter – die AfD in ihrer polternden, aber bürgerlichen Art ist für viele die bessere, weil weniger gefährlich wirkende Proteststimme. Das gilt im Norden ebenso wie im Rest des Landes – dass gestern gerade einmal zwei Prozent der deutschen Bevölkerung gewählt haben, ist da egal. Entscheidend sind die zwei Prozentpunkte Abstand.

"Wir haben ein ernsthaftes Problem."

Diesen Satz hat man am Sonntag nicht aus der CDU gehört, die mit Platz drei hinter der AfD ein Debakel der Sonderklasse erlebt hat, und auch die SPD, die in Mecklenburg-Vorpommern gut fünf Prozentpunkte verloren hat, wartete nicht mit Selbstkritik und Reflexion auf. Der Befund kam von Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch, dessen Partei bei der Landtagswahl ebenso abgestraft worden ist wie alle anderen.

Spannend ist das, weil die Linke besonders unter der AfD leidet - schließlich war die Linke bis vor kurzem das einzige Sammelbecken des Protests in Deutschland. Anders als in Österreich, Dänemark oder Frankreich hatte die Wut in Deutschland die längste Zeit ein linkes, ursoziales Gesicht, das nicht auf Fremdenfeindlichkeit setzte, sondern auf eine brachiale Form von Gleichheit.

Dass sich das nun geändert hat, sollte allen zu denken geben - vor allem aber den Großparteien, die mehr und mehr Wähler an die AfD verlieren. Denn deren Zorn mag sich zwar an der Oberfläche auf Angela Merkel und deren Flüchtlingspolitik richten, die Wurzel dieser Wut liegt aber meist woanders: in sozialer Ungerechtigkeit, in Arbeitslosigkeit, in der Ohnmacht "denen da oben" gegenüber. Dass in Mecklenburg-Vorpommern Menschen darüber klagen, dass es keine Busse für die Einheimischen gibt, dass aber Flüchtlinge von A nach B chauffiert werden, sollte den Parteien kein "Ihr Rassisten!" entlocken, sondern die Frage, wie man die Zustände vor Ort verbessern kann.

Alles beim Alten

Hört man sich die Reaktionen aus CDU und SPD an, wird man sich mit den Anliegen der Wähler nicht so bald beschäftigen, ebenso wenig wie die etablierten Parteien sich selbst fragen werden, warum ihre Antworten nicht ankommen. Vielmehr wird innerhalb der CDU eine kleine Selbstzerfleischung stattfinden, die Angela Merkel vermutlich wieder mit ein paar Kratzern übersteht - derzeit ist und bleibt sie alternativlos in der eigenen Partei. Die SPD wird sich, als Vorbereitung auf den Wahlkampf, auf sie einschießen und ihrer eigenen Linie untreu werden. Alles beim Alten eben.

Dabei wäre es höchste Zeit für neue Antworten. 75 Prozent der Wähler, so ergab eine Umfrage vor der Wahl, wollten mit ihrer Stimme nicht die AfD in Regierungsämter hieven, sondern nur der hohen Politik einen Denkzettel verpassen. Das ist eine Menge, die in nächster Zeit nicht kleiner werden wird, wenn man ihr nicht gute Antworten liefert. Gelingt CDU und SPD das nicht bald, werden diese Antworten von den ersten AfD-Ministerpräsidenten kommen - und das wäre ein noch ernsthafteres Problem für alle.

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