Mecklenburg-Vorpommern: Ganz oben, ganz weit rechts

Udo Pastörs, Spitzenkandidat der NPD: Wahlkampf mit Lautsprecher
Bei der Landtagswahl wird heute wohl jeder Vierte AfD oder NPD wählen. Merkels CDU macht das ratlos.

"Nach Lichtenhagen wird von den Politikern wohl keiner mehr kommen", sagt die ältere Dame etwas resigniert. Sie deutet auf das Plakat neben ihr, dem CDU-Kandidaten hat man ein Fadenkreuz übers Gesicht gemalt. "Volksverräter" steht darunter. "Vielleicht fürchten die sich ja", sagt sie und geht in Richtung Sonnenblumenhaus.

Mecklenburg-Vorpommern: Ganz oben, ganz weit rechts
Hier in Rostock-Lichtenhagen, zwischen trostlosen DDR-Plattenbauten, findet der Wahlkampf auf Plakaten statt. Die hohe Politik lässt sich anderswo blicken, um für die heutige Landtagswahl zu werben. Hier, wo 1992 eben jenes Haus mit den aufgemalten Sonnenblumen brannte, ein Asylheim, belagert und angesteckt von einem rechten Mob, wo erst vor ein paar Wochen wieder ein Flüchtlingsheim geräumt wurde, weil Neonazis es belagert hatten, sieht man die, die von der Abwesenheit der hohen Politik profitieren: DieAfD hat Plakate überall, dieNPD fährt mit Transportern durch die Lande, auf denen Lautsprecher befestigt sind. "Wir lassen uns den Mund nicht verbieten", so ihr Wahlspruch.

Wut auf die da oben

Man ist hier ganz oben rechts auf der Landkarte, wie man im Rest des Landes gern sagt, und dort werden viele Wähler heute ihr Kreuz machen – ganz weit rechts. Gut ein Viertel der Stimmen könnten AfD und NPD gemeinsam bekommen. Die AfD, angeführt von Ex-Radiomoderator Leif-Erik Holm, einem Polit-Frischling, könnte vor der CDU auf Platz zwei landen, nur geschlagen von der SPD, die sich mit Mühe und Not vorn halten wird. Hört man den Leuten zu, scheint die Prognose nicht zu hoch: Die Wut auf die da oben, die in Berlin entscheiden, was in der Peripherie passiert, ist riesig.

"Damit Deutschland nicht zerstört wird", steht auf Plakaten der AfD. Die Flüchtlinge sind ein gutes Ventil, obwohl in Deutschlands flächenmäßig größtem Land kaum welche anzutreffen sind. 1,6 Millionen Einwohner hat das Land, gerade mal 22.000 Asylwerber leben derzeit noch hier. Drängender sind Probleme wie die noch immer hohe Arbeitslosenquote von neun Prozent und die Folgen der massiven Abwanderung – nirgendwo in Deutschland sind Einkommen, Löhne und Steueraufkommen geringer, überall hat man mit fehlender Infrastruktur zu kämpfen.

Merkel zieht nicht mehr

Mecklenburg-Vorpommern: Ganz oben, ganz weit rechts
(FILES) This file photo taken on August 27, 2016 shows Leif-Erik Holm (L), top candidate for regional elections of the Alternative for Germany (AfD) party, greeting his supporters as he is applauded by AfD party chairwoman Frauke Petry during an election campaign event in Wismar, northeastern Germany, on August 27, 2016. On September 4, 2016, regional elections will be held on German Chancellor Angela Merkel's home turf of Mecklenburg-Western Pomerania, where her Christian Democratic Union (CDU) party is trailing in the polls. / AFP PHOTO / TOBIAS SCHWARZ
"Hat es wirklich Sinn, jede Gemeinde an die Datenautobahn anbinden? Können wir uns das leisten?", fragt ein Herr aus dem Publikum; er hat wohl auch die Kosten für die Flüchtlingshilfe im Blick. Angela Merkel, die zur CDU-Wahlveranstaltung in Schwerin per Helikopter angereist ist, pariert mit Witz. "Sie fragen ja auch nicht, ob es sich gelohnt hat, jede Gemeinde mit Wasser und Strom zu versorgen", sagt sie, es wird gelacht. Das Publikum hier in ihrem Stammland ist ihr wohlgesinnt, klar, es sind ja alles CDU-nahe Unternehmer. Hier ist geschlossene Veranstaltung: Offene Tribünen hat man im Wahlkampf vermieden, ihre Termine nicht groß angekündigt – die Zeiten, in denen die Kanzlerin als Wahlkampf-Turbo durch die ihren eigenen Wahlkreis ziehen konnte, sind vorbei.

Die Nicht-Kommunikation macht sich bezahlt, zumindest heute. Der Protest draußen vor dem Strandpavillion weitab vom Zentrum beschränkt sich auf ein paar Versprengte. Man hat fast den Eindruck, als wolle man die Augen verschließen: Für die CDU könnte der heutige Tag die absolute Katastrophe bringen – das AfD-Mantra "Merkel muss weg" könnte, wenn die CDU auf Platz drei landet, schneller Realität werden als ihr lieb ist. Das macht ratlos. "All die Probleme, die die AfD plakatiert, treffen auf Mecklenburg-Vorpommern gar nicht zu", sagt Lorenz Caffier, der CDU-Spitzenkandidat klingt dabei verzagt. "Wir bauen Schulden ab, die Leute sind zufrieden, Jobs werden geschaffen, es gibt keinen Flüchtling, der nicht erfasst ist."

Auch die SPD hat kaum Reflexion, sondern eher Kritik im Repertoire – man arbeitet sich an Merkel ab. Den AfD-Wählern "gehe es ja eindeutig um die die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin", sagte der amtierende Ministerpräsident Erwin Sellering jetzt in einem Interview; dass sie stets den Eindruck erwecke, dass "alles, was sie vorgibt, das einzig Richtige" sei, provoziere die Menschen. Wieso die AfD-Marktschreierei auch seine Politik überstrahle, darauf wusste er keine Antwort – die SPD ist von 35 Prozent bei der letzten Wahl auf 28 Prozent geschrumpft.

Schwarz-rot-braun

Mecklenburg-Vorpommern: Ganz oben, ganz weit rechts
German Chancellor Angela Merkel and Christian Democratic Union (CDU) party's candidate Egbert Liskow in the forthcoming regional electon in Mecklenburg-Vorpommern visit a market in Greifswald, Germany August 30, 2016. REUTERS/Stefanie Loos
"Wir müssen um diese Wähler kämpfen", sagt Merkel am Ende ihres Auftritts. Nur wie, das sagt sie nicht. Schwarz-rot-braun statt schwarz-rot-gold, das Schreckgespenst des ehemaligen Ostens, macht ihren Zuhörern Angst, weil es mit der Symbiose der Rechten eine neue Größe erreicht. Die NPD, die seit 2011 im Landtag sitzt, hat der AfD unabsichtlich den Boden bereitet. Schon vor einiger Zeit liefen deshalb NPDler zur Alternative über, die wiederum schließt Kooperationen mit den Rechtsextremen nicht mehr kategorisch aus.

Ratsam wäre es vielleicht, wenn man sich näher mit den Orten beschäftigen würde, in denen nicht nur Ewiggestrige rechts wählen, sondern alle, die unter fehlenden Jobs, mangelnder Infrastruktur, nicht existenten Ansprechpartnern leiden. In Torgelow etwa, nahe der polnischen Grenze, wo die NPD Hausmacht hat, setzt sich seit einiger Zeit der junge SPD-ler Patrick Dahlemann gegen die Rechten ein – mit großem Erfolg, auch beim Wähler. Als Parteichef Gabriel das mitbekam und fragte, was er für ihn tun könne, sagte Dahlemann: "Herkommen." Ein einfaches Rezept.

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