Begnadigte Kühe als Politik-Coup

Polen: Warum sich PiS-Parteichef und Tierfreund Jaroslaw Kaczynski der Rettung einer wilden Kuhherde annahm

Für die wilde Kuhherde von Deszczno (Dechsen) im Westen Polens sieht es jetzt gut aus. Jaroslaw Kaczynski, Chef der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), hat sie „begnadigt“ und so vor dem Schlachthaus gerettet.

Das Schicksal der rund 180 schwarz-weiß gescheckten Hausrinder bewegt seit einem Monat die polnische Öffentlichkeit. Die Kühe und auch Stiere, die seit zehn Jahren in der Woiwodschaft Lebus herumstreifen, rund 50 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, sind nicht geimpft und unter keiner tierärztlichen Betreuung.

Begnadigte Kühe als Politik-Coup

Hat ein Herz für Rinder: Jaroslaw Kaczynski.

Töten nach Vorschrift

Ein Besitzer, der vermutlich finanziell überfordert war, hatte die Rinder ausgewildert, diese vermehrten sich. „Über Jahre bildeten sie eine Gefahr für den Verkehr und schädigten die Landwirtschaft“, so Landwirtschaftsminister Jan Krzysztof Ardanowski. Dieser wollte die Kühe noch vor einer Woche nach Gesetz töten lassen, was Tierschützer auf den Plan rief.

Dies mag seltsam anmuten, da das Schicksal von Hausrindern außerhalb Indiens weltweit nun einmal das Schlachthaus ist. Doch diese wild gewordenen Kühe rührten die Gemüter an der Weichsel. Auch das von Jaroslaw Kaczynski. Während dem oft grimmig wirkenden Politiker von seinen Gegnern oft Menschenverachtung vorgeworfen wird, gilt er gleichzeitig als großer Tierfreund.

Gibt man ihm bei Wahlveranstaltungen auf dem Land ein Lämmchen zum Streicheln, so hellen sich seine Gesichtszüge auf. In seiner kleinen Wohnung lebt der 69-jährige Single, der über Jahrzehnte und bis zu deren Tod bei seiner Mutter wohnte, mit zwei Katzen zusammen. So sehr beschäftigen den Parteichef seine Mitbewohner, dass er vor einiger Zeit sogar während einer Parlamentsdebatte in ein Buch über Katzen vertieft war. Da schien ihn auch nicht zu stören, dass zeitgleich eine der umstrittensten Gesetzesvorlagen seiner Regierung diskutiert wurde: Die Reform der Justiz.

Im Staatsfernsehen TVP Info mahnte Kaczynski das Landwirtschaftsministerium: „Für mich ist es klar, dass man diese Kühe retten soll.“ Dies sei eine Frage der Humanität (sic).

Zudem wandte er sich an die Tierschützer: „Ich wünsche mir, dass diese Leute verstehen, dass wir (Politiker) empfindsame Menschen sind.“

Präsident interveniert

Staatspräsident Andrzej Duda, der als einer der engsten Vertrauten Kaczynskis gilt und grundsätzlich nach dessen Wünschen agiert, warf der EU per Twitter vor, dass diese vorschreibe, wilde Kühe per Gesetz zu töten, und kündigte eine Lösung unter dem Motto „Ein Pole kann es“ an.

Nach dieser Intervention von höchster Stelle versprach der Landwirtschaftsminister, der sich ausdrücklich auf Kaczynski bezog, die Tiere auf einem staatlichen Landgut zu isolieren, sodass sie keine anderen Rinder anstecken können. Es ist nicht die erste Intervention in Sachen Tiere von Kaczynski, so setzte er sich für ein Verbot der Nerzzucht in Polen ein.

Seine politischen Gegner brauchen auf solche Gnadenappelle nicht zu hoffen. In der Europawahl holte die PiS mit mehr als 45 Prozent ihr bestes Ergebnis und geht so gestärkt in den Wahlkampf für die Parlamentswahlen im Herbst.

Vor zweitem Sieg

Schließlich galt die Europawahl vor allem als Probelauf für die kommenden Wahlen. Mit demonstrativer EU-Skepsis, die Berlin und Brüssel gleichermaßen als Bedrohung einstuft, konnte die PiS punkten. Vor allem die Wähler im ländlichen Raum hielten ihr die Treue.

Die überraschend geschlagene bürgerlich-liberale PO, die sich an die Spitze eines pro-europäischen Bündnisses in Polen gestellt hatte, muss sich für den Herbst-Wahlkampf neu aufstellen. Dass ihr das in der kurzen Zeit gelingt, gilt als unwahrscheinlich. Schließlich haben Abgeordnete der PO gegenüber dem KURIER eine bemerkenswert simple politische Gleichung aufgestellt: „Wer die EU-Wahlen gewinnt, der gewinnt auch im Herbst.“

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