"Barrieren beseitigen"
Österreich hat bisher von allen Integrationsschritten profitiert (Ost-Öffnung, Binnenmarkt, EU-Beitritt und Erweiterungen, Anm.). Ein Prozent Wachstum und 7000 zusätzliche Arbeitsplätze pro Jahr lautet nach einer aktuellen WIFO-Studie die Bilanz.
Der Präsident der Wirtschaftskammer, Christoph Leitl, skizzierte am Montag aus Anlass der Konferenz "20 Jahre Binnenmarkt" diese Zahlen. Für diese Konferenz kam auch der dafür zuständige EU-Kommissar Michel Barnier nach Wien. Leitl verwies darauf, dass Österreichs Unternehmen fünf von zehn Euro im innereuropäischen Handel verdienen.
Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner verlangte weitere Maßnahmen, um die Potenziale des Binnenmarktes auszunützen: "Wir müssen Barrieren abbauen, Regelungen durchforsten, die Entfesselung vorantreiben und gegen protektionistische Eingriffe, wie es sie etwa in Ungarn oder Dänemark gibt, vorgehen." Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, vor allem von Fachkräften, könnte verbessert werden.
Balsam für Barnier
Diese Worte waren Balsam für Barnier. Berechnungen der Kommission gehen davon aus, dass der Abbau bürokratischer Hürden und die konsequente Anwendung sämtlicher Gesetze und Regelungen "ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von zwei bis drei Prozent und eine Ersparnis von 100 Milliarden Euro pro Jahr" bringen könnten.
Auf die KURIER-Frage, wo Barnier den Binnenmarkt in den nächsten 20 Jahre sieht, antwortete der Kommissar: "Im Ausbau des elektronischen Handels und Zahlungsverkehrs. Der Binnenmarkt muss für die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sowie für die Konsumenten populärer und attraktiver werden." Aktuell werden nur sechs bis sieben Prozent des Handels von KMUs digital abgewickelt.
Eine Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik zeigt (siehe Grafik) , dass nur 17 Prozent der KMUs einen "großen Vorteil" im gemeinsamen Markt sehen.
Als weiteres Ziel für den Binnenmarkt hat sich der Kommissar "das reibungslose Funktionieren der Bankenunion und der Finanzunion" vorgenommen.
Vier Grundfreiheiten
Immerhin sind ja die großen Ziele des Binnenmarktes die Realisierung der vier Freiheiten: Der gleichberechtigte Austausch von Waren und Dienstleistungen (Niederlassungsfreiheit) sowie die Freizügigkeit von Arbeitnehmern und Kapital. Letzteres bedeutet, dass überall in der EU Geld angelegt und investiert werden kann.
Gerade was das Kapital angehe, arbeite die Kommission an der Verwirklichung der Bankenunion, wie sie eben von den Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel in Brüssel beschlossen wurde. "2013 stehen die Bankenaufsicht und das System der Einlagensicherheit", betonte Barnier.
Der aus Frankreich stammende Kommissar appellierte an alle EU-Mitglieder, "den Binnenmarkt zu vertiefen" und weitere Integrationsschritte zu wagen. Das Szenario, das er für die EU bis zum Jahr 2050 präsentierte, ist düster: Derzeit befinden sich vier EU-Staaten – Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien – unter den ersten zehn der globalen Wirtschaftsmächte. 2020 sind es nur noch Deutschland, Frankreich und Großbritannien; 2030 sind die drei Staaten zwar noch unter den ersten Zehn, aber absteigend. 2050 liegen Deutschland und das Vereinigte Königreich an neunter und zehnter Stelle.
"Das kann ich nicht akzeptieren, dass wir dann nur noch noch auf Produkte aus China und den USA angewiesen sind", erklärte Barnier. "Wir müssen gemeinsam europäisch auftreten, das ist unsere einzige Chance."
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