"Außer dem Bürgermeister und mir arbeitet keiner mehr"

Kein Geld, keine Jobs, keine Perspektiven – in Spaniens ärmsten Regionen, nicht weit von Madrid. Die Spanier sind am Sonntag zur Wahl eines neuen Parlaments aufgerufen.
Reportage: Den Aufschwung haben alle Parteien heute versprochen. Doch der lässt vielerorts auf sich warten.

Die Weihnachtsbeleuchtung, ja, die hätten sie jetzt doch noch aufgehängt vor ein paar Tagen. "Wozu haben wir das Zeug denn sonst, das verdammte", schickt Alvaro, der Wirt von der "Bar zum Piloten", eine Ladung schlechter Laune über den Tresen. Und die Handvoll Stammgäste, die alle nach ziemlich früher Frühpension aussehen, schicken die ihre gleich hinterher.

Es dauert nur ein paar Schluck Bier, und die unvermeidlichen Themen des Ortes Chazas de Canales kreisen durch den Raum: Kein Geld, keine Jobs und keine Aussicht auf irgendeinen Aufschwung. Wo soll der auch herkommen, hier in den trockenen Hügeln der Mancha, eine halbe Stunde südlich von der Hauptstadt Madrid?

"Außer dem Bürgermeister und mir arbeitet keiner mehr"
spanien, Bürgermeister
Und jetzt ist man mit all dem Elend auch noch im Fernsehen gelandet, als das Dorf mit der höchsten Arbeitslosigkeit von ganz Spanien. 71 Prozent, sagt die Statistik, haben hier keinen Job. "Und das könnten noch ein paar mehr sein", leistet sich Alvaro ein bisschen schwarzen Humor, "denn außer dem Bürgermeister und mir arbeitet hier eigentlich keiner mehr."

Wer sich am Hauptplatz oder vor dem Supermarkt durchfragt, hört tatsächlich fast nur von Sozialhilfe als Lebensgrundlage. "Zapatero-Geld", nennt man hier diese knapp 400 Euro pro Monat, nach dem einstigen sozialdemokratischen Regierungschef, der es eingeführt hat, nachdem die Krise 2009 in Spanien losgebrochen war – und hier südlich von Madrid ganze Landstriche wirtschaftlich quasi ausradierte.

Mehr Arbeit als Leute

So einfach hatte man sich das zusammengereimt, damals als der Aufschwung in Spanien kein Ende nach oben zu kennen schien. Die Bauwirtschaft schrieb einen Rekord nach dem anderen. Auch in Chazas de Canales gab es mehr Arbeit als Menschen, die sie leisten konnten. "Da haben Lehrer und Computerspezialisten auf einmal am Bau gearbeitet, so gut zahlten die", erinnert sich eine ältere Dame, die sich an diesem Samstag ihre übliche Runde im Trainingsanzug von Bar zu Bar leistet.

"Urbanizaciones" hieß das Zauberwort: In die Landschaft geklotzte Siedlungen. Ein halbes Dutzend haben sie in diesen Jahren rund um das 1000-Seelen-Dorf hingepflanzt. 5000 Menschen zogen damals innerhalb weniger Jahre zu. Klar, man hatte ja auch gleich eine praktische Autobahnabfahrt und ein Industriegelände hingebaut. Die Wohnungspreise stiegen unaufhaltsam. Reich wurden dabei nicht nur die Baufirmen, sondern auch die örtlichen Politiker, die gegen gutes Schmiergeld alles in Bauland verwandelten. Wer beim Run auf die hübschen Häuschen dabei sein wollte, obwohl er kein Geld hatte, nahm sich einen Kredit. Die Banken fragten ohnehin nicht lange nach.

Wo einst Don Quijote ritt

Auf dem Industriegelände sitzt heute noch eine einzige Firma – ein Autoausschlachter. Die Autobahnabfahrt steht auch etwas übergroß und verloren zwischen den Hügeln, über die einst Spaniens trauriger Nationalheld Don Quijote geritten sein soll. Landwirtschaft ist der einzige echte Arbeitgeber in der Gegend. Doch die braucht Taglöhner, die man schwarz und bar auf die Hand bezahlt, keine Angestellten mit Pensionsanspruch.

Viele der urbanizaciones sind heute zu Geisterstädten verkommen. Wer es sich irgendwie leisten konnte, zog weg, den Jobs hinterher, die es hier nicht mehr gibt. Zurückgeblieben sind jene, die nicht verkaufen können. Um gerade einmal ein Fünftel ihres damaligen Wertes werden die Häuser heute gehandelt. Sind die einmal weg, stellt die Bank den Kredit fällig und pfändet.

Einfach Tür eintreten

Ohne Job und ohne auch nur die Hoffnung auf eine Zukunft bleibt den meisten hier nur viel Wut, Frust und Zeit zum Totschlagen. Das Feindbild in den Siedlungen sind die neuen Nachbarn. "Aus ganz Spanien kommen die hierher", lässt sich Marta, eine Bewohnerin, schon an der Gartentür aus, "und natürlich sind da auch Schwarze dabei. Die treten die Tür ein und ziehen ein. Kümmert sich ja eh keiner drum." Den Strom würden die bei den ehrlichen Mietern oder einfach bei der Straßenbeleuchtung abzapfen: "Wovon die leben?", fragt Marta, "das wollen wir gar nicht so genau wissen."

Die Wahlen sind in Chozas bestenfalls ein Anlass, sich den Ärger über die Politiker lautstark von der Seele zu reden. Zur Politik fallen den Menschen hier die üblen Geschäfte des langjährigen sozialistischen Bürgermeisters mit der Baumafia ein. Jetzt regiert ein Konservativer, doch auch dem, resigniert Bar-Chef Alvaro, falle eigentlich nicht wirklich eine Lösung für all die Probleme ein: "Wo sollen die Jobs auch auf einmal herkommen?"

"Wir zahlen nicht"

Hilfe von der Politik erwartet man sich auch in dem 400-Seelen-Dorf Santa Cruz del Valle in den Bergen westlich von Madrid nicht. Auch hier hält man derzeit einen traurigen spanischen Rekord. Knapp 10.000 Euro pro Kopf sind die höchste Pro-Kopf-Verschuldung im Land. Mit vier Millionen Euro steht das Dorf bei mehreren Banken in der Kreide. Warum, das kann nicht einmal der jetzige Bürgermeister Pascual Morenos so genau sagen. "Meine Vorgänger haben einfach ständig alles ein bisschen zu groß und zu teuer angelegt", versucht der strikt ehrenamtliche Politiker in der örtlichen Bar die Ursachen des Bankrotts zu erklären: "Den besten Torero für das Stierkampf-Fest, die Renovierung der Straßenschilder – und dann noch das Wasserdepot in den Bergen das plötzlich kaputt war."

Klingt alles nicht nach übermäßigem Luxus. Außerdem hätten die Banken damals, vor zehn Jahren, die Kredite ohnehin quasi freihändig vergeben. Doch als die beiden Herrn Bürgermeister sich um diese Kredite nicht kümmerten oder Rechnungen einfach jahrelang unbezahlt verkommen ließen, knallten diese Banken still, heimlich und skrupellos Zinsen von mehr als 20 Prozent drauf. Und die Schulden wuchsen.

Als dann die Krise die Preise für Holz aus den örtlichen Bergwäldern verfallen ließ, brach auch noch die wichtigste Einnahmequelle des Dorfes zusammen. Da, erinnert sich der Bürgermeister, habe er jeden Tag damit gerechnet, dass man Santa Cruz den Strom abdrehen würde. Seither spart das Dorf eisern: Die Stierkampfarena hat man in Eigenregie restauriert.

Ob man nächsten Sommer lieber zwei Toreros oder doch die Reparatur der Wasserleitung finanziert, wird gerade debattiert. Inzwischen hat man es zumindest geschafft, die laufenden Zinsen für die Kredite zu zahlen. Mehr, versichert Pascal Morenos, ginge einfach nicht. Die Banken aber ließen nicht mit sich reden: "Die verhandeln einfach nicht mehr mit uns."

"Warten, ob die Bank uns klagt"

Also setzt man in den Bergen von Santa Cruz auf stillhalten und abwarten. Die Fronten sind starr, und, darüber ist man sich in der Bar am Hauptplatz absolut einig, "bezahlen können wir und werden wir nicht". Die Sturköpfigkeit lässt man sich jedenfalls von ein paar fehlenden Millionen Euro nicht abkaufen: "Warten wir einmal ab, ob die Bank uns wirklich klagt."

So schlimm, davon ist man hier oben in den Bergen überzeugt, werde es schon nicht kommen: "Und wenn wir uns die Toreros irgendwann wirklich nicht mehr leisten können, dann kämpfen wir eben selber mit dem Stier."

Die Spanier feiern in der Weihnachtszeit ausgelassen, besinnlich wird es erst zum Heiligen-Drei-Königstag Die Entscheidung steht knapp bevor, und die Warteschlangen werden immer länger. Nicht vor den Wahllokalen, sondern vor den Lotterie-Annahmestellen im Zentrum von Madrid. Kommenden Dienstag wird „El Gordo“, also der Haupttreffer der alljährlichen Weihnachtslotterie, gezogen, und das sorgt verlässlich für wachsende Hysterie. Für viele, die jetzt noch rasch ein paar Euro verwetten wollen, geht es vor allem ums dabei Sein. Schließlich gehört das Trara um die Lotterie zum spanischen Weihnachtstrubel dazu. Besinnlichkeit gibt es hier erst am 6. Jänner, zu den Heiligen Drei Königen. Bis Weihnachten gehen die Spanier lieber lang und lautstark feiern. In Madrid sind die Straßen im Zentrum an den Wochenenden so überfüllt, dass die Polizei Absperrungen aufstellen muss, um den Party-Verkehr zwischen den Bars in halbwegs geregelte Bahnen zu lenken.

Dass auch der Wahlkampf zuletzt ziemlich hart und hässlich ausgetragen wurde, Regierungschef Rajoy bei einer TV-Debatte lautstark aus der Verfassung geriet und auf der Straße sogar mit der Faust ins Gesicht geschlagen wurde, liefert nur noch ein weiteres Diskussionsthema für die abendlichen Runden bei Bier und Tapas an der Bar.

Diskussionen an der Bar

Eine Meinung hat hier jeder zu den Wahlen parat. Meist ist es keine besonders gute, schließlich ist Rajoy Spaniens unbeliebtester Regierungschef seit Beginn der Demokratie. Die TV-Diskussionen werden jedenfalls von den meisten verfolgt. Auch wenn sich das Interesse an „der Partie vom letzten Montag“ (gemeint ist das TV-Duell der Spitzenkandidaten) eher nach sportlicher Begeisterung anhört. Die Probleme mit zu niedrigen Löhnen, zu hoher Arbeitslosigkeit und einer Jugend, die lieber ins Ausland geht, als hier auf einen Job zuwarten, die ließen sich von so einer Wahl ja ohnehin nicht aus der Welt schaffen.

Und so ernst will man das beim Ausgehen am Wochenende ohnehin nicht diskutieren. Wenn’s für die Bar finanziell nicht reicht, Bier gibt’s auch beim Chinesen-Greißler an jeder Ecke in der Innenstadt. Und bei den milden Temperaturen kann man auch vor Weihnachten noch auf der Straße feiern.

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