Auschwitz: Alltagsleben im Schatten des KZ
Schon auf dem Bahnhofsportal empfängt den Besucher übergroß eine in den Beton gemeißelte Botschaft. „Stadt des Friedens“, so nennt sich das südpolnische Städtchen Oswiecim seit einigen Jahren – ein weiterer Versuch, mit dem schrecklichen Erbe umzugehen, das die Verbrechen der Nationalsozialisten hier zurückgelassen haben.Oswiecim hat etwa 40.000 Einwohner, die versuchen ein normales Leben zu leben, auch wenn die Vergangenheit sich hier nirgendwo ausblenden lässt.
Die Chemiefabrik, die Tausenden Menschen hier Arbeit gibt, steht auf den Fundamenten der deutschen Buna-Werke, in denen sich die Auschwitz-Insassen zu Tode schufteten. Es gibt Schulen, die in den einstigen Wohnhäusern der SS-Wachmannschaften eingerichtet sind.
Eine Diskothek musste zusperren, weil man entdeckte, dass auf dem Gelände in den Jahren des Holocaust die geschorenen Haare der Opfer gelagert wurden.Das KZ dominiert weiterhin das Alltagsleben der Stadt. Immerhin werden hier alljährlich etwa 2,5 Millionen Besucher durchgeschleust. Gedenktafeln an Orten des Schreckens, aber auch Wegweiser zu den KZ-Anlagen sind in der Stadt allgegenwärtig. Es gibt Kreuzungen von Straßen mit Namen wie "Deportiertenstraße" oder "Lagerstraße" - und unter diesen Kreuzungen liegt ein Massengrab.
"Ein normales Leben"
Geschichten wie diese erfährt man heute in vielen Begegnungen in der Stadt, oft begleitet von dem lakonischen Nachsatz, „wir müssen doch versuchen, ein normales Leben hier zu leben“.
Ernsthaft versucht hat das der langjährige Bürgermeister der Stadt, Janusz Marszalek. Der Geschäftsmann sorgte vor einigen Jahren international für Aufsehen, weil er versuchte, gegenüber dem Haupttor des KZ eine Art Geschäftsstraße zu etablieren: Ein Gasthaus, ein Café, einige Boutiquen. Opferverbände weltweit versuchten die Bauarbeiten zu stoppen. Doch Marszalek setzte sich schließlich durch.Das kleine Einkaufszentrum samt Parkplatz wurde errichtet. Es gab Restaurants und einen Baumarkt namens "Dein Haus".
Zugleich aber begann der Bürgermeister mit der Umgestaltung der Stadt, in der die jüdische Tradition wieder ihren Platz bekommen sollte. Eine Synagoge wurde neu aufgebaut, die Kontakte etwa zu jüdischen Jugendorganisationen in vielen Ländern wurden intensiviert.
Musikfestival
Heute hat sich Oswiecim als Ort für internationale Jugendtreffen etabliert, wo man über einen Umgang mit dem Erbe des Holocaust für nachfolgende Generationen diskutiert. Ein Musikfestival mit dem Titel "Life Festival" wurde einige Jahre lang organisiert, Stars wie Sting oder Santana spielten, hier. Inzwischen aber fehlt das Geld für eine Fortsetzung. Die Hotels der Stadt aber sind schlecht besucht, denn über Nacht bleiben wollen offensichtlich die allerwenigsten Besucher. Sie reisen lieber mit dem Autobus für ein paar Stunden aus Krakau an. Oswiecim mit seinen immerhin 800 Jahren Geschichte, seiner Burg und seinen renovierten Barockhäuschen interessiert sie kaum. Aus Oswiecim nehmen sie nur eine Erinnerung mit, die an den Schrecken des Holocaust.
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