Aufsperren, zusperren: Tschechien zwischen Corona-Rekorden und Chaos
Selbst die dramatischen Warnungen von Premier Andrej Babis halfen nichts mehr. Wer jetzt nicht für die Verlängerung des Notstandes stimme, erklärte er vor den Abgeordneten im Parlament, der werde am Tod vieler Landsleute mitschuld sein. Die Mehrheit kam trotzdem nicht zustande, auch weil die Kommunisten, die Babis’ seit längerem schwächelnde Regierung stützen, nicht mitmachen wollten.
Damit gehen in Tschechien nach monatelangem lockdown am Sonntag die Rollbalken wieder hoch. Auch wenn die Details noch nicht ausgehandelt sind, werden Restaurants und Kaffeehäuser rasch wieder aufsperren, auch der Druck, die Schüler wieder in der Klasse zu unterrichten, steigt.
Fast 10.000 Infizierte täglich
Doch all diese Lockerungen passen überhaupt nicht zur aktuellen Pandemie-Situation in Tschechien. Mit fast 10.000 Infizierten täglich ist es das am schlimmsten betroffene Land der EU. Viele Spitäler sind so überlastet, dass Intensivpatienten quer durchs Land gekarrt werden, um sie behandeln zu können. Dazu kommt, dass inzwischen die Mehrheit der Krankheitsfälle von der ansteckenderen britischen Mutante des Virus verursacht wird.
Polizeikontrollen
Am schlimmsten ist die Lage im ohnehin wirtschaftlich schwachen Nordwesten des Landes, in den Regionen an der Grenze zu Deutschland. Dort liegen die 7-Tages-Inzidenzen bei Werten über 1000, also das Zehnfache von Österreich. Drei dieser Landkreise sind jetzt abgeriegelt worden. Ein- und ausreisen darf man nur noch mit einem negativen Coronatest. Die Polizei kontrolliert an Autobahnen und Landstraßen. Das Nachbarland Bayern, in das ja viele Tschechen zum Arbeiten auspendeln, hat die Beschränkungen für diese Pendler verschärft. Sie dürfen jetzt nur noch direkt zum Arbeitsplatz und zurück fahren, Einkäufe oder andere Erledigungen sind verboten.
Misstrauen gegen Regierung
Premier Babis und seine Regierung haben in den letzten Monaten der Pandemie jede Menge Vertrauen verspielt. Babis, Unternehmer und Multimillionär, hatte immer damit gepunktet, dass er versprach, das Land strategisch und zielorientiert wie eine Firma zu führen. Das Corona-Management ist dagegen ziemlich entgleist. Während groß angekündigte Maßnahmen wie ein konsequentes Contact-Tracing nie wirklich funktionierten, pendelte man zwischen Auf- und Zusperren, lockdown und Lockerung. Die Infektionszahlen aber hat man damit nie unter Kontrolle gebracht. Schon im Herbst war Tschechien chronisch Negativrekord-Halter in der EU, die Zahlen haben seither nie ein auch nur annähernd vernünftiges Niveau erreicht.
Risiko Arbeitsplatz
Den Hauptgrund führen Experten und Kommentatoren in tschechischen Medien auf die Arbeitsplatz-Situation im Land zurück. Tschechien ist ein Industrieland, das anders als Österreich weit weniger Arbeitsplätze einfach ins home office verlegen könne. Die Menschen wären also viel mehr unterwegs und hätten auch viel mehr Kontakt mit Berufskollegen.
Wenig Hilfe
Dazu kommt, dass im liberal regierten Tschechien auch in Pandemie-Zeiten die soziale Absicherung schwach ist. Auch sind trotz jahrelangem Wirtschaftsboom die Löhne niedrig. Die Bürger, berichtete der tschechische Rundfunk kürzlich, würden auch mit Krankheitssymptomen arbeiten gehen. Die Angst, den Job zu verlieren, sei größer als die Angst vor Ansteckung. Also meiden viele auch die angebotenen Tests. Man will weder sich noch mögliche Kontaktpersonen in Schwierigkeiten bringen, und der Regierung und ihren Maßnahmen vertraut man ohnehin nicht mehr
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