Attentäter wollte Politiker treffen

Weil er nicht zum Regierungssitz vordringen kann, schießt ein Italiener auf die Carabinieri.

Es hätte ein festlicher Tag für Italien werden sollen. Ein Tag, der eine neue politische Ära einleitet. Stattdessen überschatteten Sonntagmittag dramatische Szenen die Vereidigung des Kabinetts von Premier Enrico Letta im Quirinalspalast: Nur ein paar hundert Meter davon entfernt, vor dem Regierungssitz Palazzo Chigi, wo Hunderte Neugierige warteten, gab ein Mann im schwarzen Anzug plötzlich sechs Schüsse in Richtung der Sicherheitskräfte ab. Er traf zwei Carabinieri, einen davon am Hals. Der Zustand des Mannes galt als kritisch.

Bei dem Schützen handelt es sich um den 49-jährigen, bisher unbescholtenen, Luigi Preiti aus Kalabrien. Eigentlich wollte er auf Politiker schießen, berichtete der ermittelnde Staatsanwalt Laviani nach der ersten Einvernahme des geständigen Täters. Da Preiti nicht in die unmittelbare Nähe des Regierungssitzes gelassen wurde, habe er dann das Feuer auf die Carabinieri eröffnet.

Der Schütze scheine nicht geistig verwirrt zu sein und habe seine Tat gestanden, so Laviani weiter. Es handle sich um einen Arbeitslosen mit vielen privaten Problemen, so der Staatsanwalt.

Prietis Bruder erklärte gegenüber italienischen Medien: Luigi, der im Piemont gelebt hatte, sei seit kurzem geschieden und habe vor Monaten seine Arbeit verloren. Der Familienvater einer Tochter habe seitdem erfolglos nach einem Job im ganzen Land gesucht und habe zu seinen Eltern zurück nach Kalabrien ziehen müssen. Prietis Ex-Frau ist erschüttert: „Ich kann nicht begreifen, warum er das gemacht hat.“

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Newly appointed Prime Minister Letta rings the sil

Selbstmord vereitelt

Die Minister erfuhren erst nach der Angelobung davon. Innenminister Angelino Alfano trat nach dem Besuch der verletzten Carabinieri im Spital vor die Presse: „Die Schießerei vor dem Regierungssitz ist nach ersten Ermittlungen auf die Tat eines Einzelnen zurückzuführen.“ Der Schütze sei am Vortag nach Rom gereist, um „eine eklatante Geste“ zu setzen. Nach den abgegebenen Pistolenschüssen schrie Preiti angeblich in Richtung der Carabinieri: „Erschießt mich, erschießt mich!“ Preiti wollte sich dann das Leben nehmen, wurde aber gefasst.

Die Wirtschaftskrise mit der Massenarbeitsarbeitslosigkeit schwer auf die Stimmung im Land. Die Selbstmordrate verzweifelter Arbeitsloser und bankrotter Unternehmer stieg dramatisch. Die Verzweiflungstat trat eine breite Diskussion über die prekäre Arbeitslage los. Ein Unternehmensvertreter bezeichnete den Vorfall auch als „symbolischen Akt“, der auf die kritische wirtschaftliche Situation von Kleinunternehmern aufmerksam machen wollte. Die Angst vor Nachahmungstätern ist groß. Die Sicherheitsvorkehrungen rund um die politischen Institutionen wurden verschärft.

In einer ersten Reaktion machte Roms Bürgermeister Gianni Alemanno das angespannte politische Klima für das Attentat verantwortlich. Man dürfe sich „nicht wundern, wenn man ununterbrochen gegen die Institutionen wettert, als wären sie abzubauen“, sagte er in Anspielung auf die Fünf-Sterne-Protestbewegung von Beppe Grillo. Dessen Mandatare verurteilten das Attentat.

Die gute Nachricht vorweg: Enrico Letta konnte die ewig gleichen Streithähne diesmal aus der Regierung draußen halten. Sein Kabinett zeigt einen Generationswechsel, ein Drittel der Ressorts wird von Frauen geleitet und erstmals zog auch eine Ministern in eine italienische Regierung ein. Aber nach der schwierigen Regierungsbildung steht dem 46-Jährigen die wahre Herausforderung erst bevor: Er muss dem großen Einfluss der Truppe von Ex-Premier Berlusconi die Stirn bieten. „Für den Cavaliere ist es ein Sieg auf ganzer Linie, der Demokratischen Partei bleiben nur die Brösel“, analysiert die Zeitung Il Fatto Quotidiano.

Berlusconis Partei PdL besetzt Schlüsselressorts wie das Innenministerium, Infrastruktur- und Gesundheitsministerium. Eine wichtige Rolle spielt auch Reformminister Gaetano Quagliariello. Der PdL-Exponent wird bei der Justizreform und auch dem heiklen Wahlgesetz die Anliegen Berlusconis durchsetzen.

Barbesitzerin Silvia Bucci, die sich schon lange nichts mehr von der Politik erwartet, lässt die neue Regierung kalt: „Für mich sind unsere Politiker alle wie Pinocchiofiguren. Sie haben für mich dieselbe Glaubwürdigkeit.“

Auch vor dem Präsidentenpalast herrschte vor der Vereidigung Skepsis, Enttäuschung über das „übliche Techtelmechtel der Mächtigen“, aber doch auch Hoffnung auf einen Neubeginn.

„Die erste farbige Ministerin finde ich eine interessante Neuheit“, kommentierte ein römischer Pensionist. Cécile Kyenge ist neue Integrationsministerin und erste dunkelhäutige Ministerin Italiens. Die 49-jährige Ärztin und gebürtige Kongolesin will das strenge Immigrationsgesetz reformieren und fordert Staatsbürgerschaft für alle in Italien geborenen Kinder von Einwanderern. Erste Proteste gab es bereits von der rassistischen Lega Nord.

Als weitere positive Überraschung gilt Außenministerin Emma Bonnino (65). „Das hat sie sich verdient“, so der Tenor auf der Piazza. Die ehemalige EU-Kommissarin, Frauenrechtlerin und Vertreterin der linken Radikalen Partei stach ihre beiden aussichtsreichsten Konkurrenten aus der „alten Garde“, Massimo D’Alema und Mario Monti, aus.

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