Atom-Pilz? Experten erklären Aussehen der Explosion in Beirut
Zwei Tage vor dem Jahrestag das Atombombenabwurfes über Japan 1945 weckten die Bilder aus Beirut am Dienstagabend weltweit Besorgnis erregende Assoziationen: Die gigantische weiße Wolke, die sich nach der zweiten großen Detonation kugelförmig über der libanesischen Hauptstadt ausdehnte, erinnerte viele Menschen an Atompilze.
Hunderte Tote befürchtet: Beirut am Tag nach den Explosionen
Experten geben allerdings Entwarnung. Das Phänomen, das in Beirut auftrat, gebe es keineswegs nur bei Atom-Explosionen, sagte etwa Jeffrey Lewis, Rüstungsexperte und Professor am Middlebury Institute of International Studies in der US-Stadt Monterey. "Einige der Dinge, die wir mir nuklearen Explosionen assoziieren, gehören einfach zu Explosionen dazu", erklärte er in der Washington Post.
Die weiße Wolke, die sich ringförmig ausdehnte, zeige die von der Explosion erzeugte Druckwelle. Diese sei deshalb so gut sichtbar gewesen, weil die Luft in Beirut Dienstagabend sehr feucht war - das Wasser in der Luft verdampfte blitzschnell.
Das bestätigt auch Brian Castner, früher Bomben-Experte in der US-Armee und danach bei Amnesty International tätig.
Bisherigen Ermittlungen zufolge explodierten im Beiruter Hafen Mehr als 2.700 Tonnen Ammoniumnitrat, das als Düngemittel, Sprengstoff oder zum Raketenantrieb verwendet werden kann. Dafür spricht auch die rötlich-braune Färbung des Rauches, der bei der ersten Detonation entstand. Das Ammoniumnitrat war 2014 von einem Schiff beschlagnahmt worden und wurde seither trotz der bekannten Gefahr in der Stadt gelagert.
Belege für die Mutmaßung von US-Präsident Trump, es habe sich um einen Anschlag gehandelt, gibt es bisher keine.
Ammoniumnitrat (NH4NO3) ist ein fester, farbloser und kristalliner Stoff. Die Substanz ist das Salz, das sich aus Ammoniak und Salpetersäure bildet. Sie lässt sich leicht in Wasser auflösen. Andere Bezeichnungen sind Ammonsalpeter, Ammoniksalpeter oder brennbarer Salpeter.
Ammoniumnitrat ist ein starkes Oxidationsmittel, das zur Herstellung von Düngemittel, aber auch von Sprengsätzen verwendet wird. Unter normalen Lagerbedingungen und bei mäßigen Temperaturen entzündet sich Ammoniumnitrat nur schwer.
Normalerweise wird die Chemikalie unter strengen Bedingungen gelagert: So muss sie etwa von Brennstoffen und Wärmequellen ferngehalten werden. In vielen EU-Ländern muss Ammoniumnitrat zudem mit Kalk versetzt werden, um es sicherer zu machen. Das geruchlose Salz war in den vergangenen Jahrzehnten bereits für zahlreiche Explosionen verantwortlich - bei Unfällen und Anschlägen.
So wurden 1921 bei einem Unfall in einer Chemiefabrik des deutschen Unternehmens BASF in Oppau 561 Menschen getötet. Der Attentäter des Anschlags in Oklahoma City 1995 mit 168 Toten verwendete beim Bau der Bombe zwei Tonnen der Substanz. In einer Chemiefabrik im französischen Toulouse kamen bei der Explosion von rund 300 Tonnen Ammoniumnitrat 2001 insgesamt 31 Menschen ums Leben. Auch bei einer Explosion in einer Düngemittelfabrik in Texas starben im Jahr 2013 15 Menschen.
Trotz der Gefahren ist Ammoniumnitrat laut US-Chemie-Expertin Jimmie Oxley in der Landwirtschaft und für Sprengungen in der Bauindustrie unverzichtbar. „Ohne Sprengstoff wäre die moderne Welt nicht möglich, und ohne Ammoniumnitrat-Dünger könnten wir die heutige Bevölkerung nicht ernähren“, sagt sie. „Wir brauchen Ammoniumnitrat - wir müssen nur genau darauf achten, was wir damit machen.“
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