Asyl-Deal mit Ruanda: Londons Tauziehen um sieben Migranten
444 Menschen haben am Dienstag versucht, illegal nach Großbritannien zu gelangen; sie wurden im Ärmelkanal aufgegriffen. Ähnlich erging es einen Monat zuvor einem 54-jährigen Iraker, dessen Fall nun europaweit für Aufsehen sorgt.
K. N. ist einer von sieben Migranten, die die britische Regierung am Dienstag nach längerem juristischen Tauziehen nach Ruanda ausfliegen wollte. Dort sollten die Männer gemäß eines umstrittenen Abkommens mit Kigali vom April um Asyl ansuchen – und zwar um Asyl in Ruanda, nicht in Großbritannien.
In praktisch letzter Minute stoppte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) den Abflug der Maschine, nachdem N. mithilfe von Anwälten in Straßburg Klage eingereicht hatte.
28.000 Menschen kamen 2021 illegal über den Ärmelkanal nach Großbritannien – per Boot oder versteckt in Lkw. Migranten, die auf diesem Weg eingereist sind, sollen künftig nach Ruanda geschickt werden können, wo sie um Asyl ansuchen können. Laut der Regierung von Premier Johnson wird diese Möglichkeit vor allem allein stehende, junge Männer betreffen.
Umgerechnet 144 Millionen Euro überweist Großbritannien an Ruanda, damit es die Menschen aufnimmt und ihnen die Chance auf Asyl bietet.
Eine Rückkehr nach Großbritannien soll es nicht geben, selbst wenn ein Migrant von Ruanda als Flüchtling anerkannt wird. Der Deal gilt vorerst für fünf Jahre.
Der Mann dürfe erst nach einem abschließenden Urteil der britischen Justiz abgeschoben werden, befanden die Richter. Ein Entscheid des Obersten Gerichtshofs in London über die Rechtmäßigkeit des Asylpakts mit Ruanda wird Ende Juli erwartet.
Nichtsdestotrotz hatte das Höchstgericht am Dienstag grünes Licht für die ersten Abschiebungen gegeben, deren Zahl angesichts der vielen Verfahren von 30 auf sieben gesunken war. Sollte der Pakt nicht halten, hieß es, könnten die Betroffenen ja zurückkehren. Der EGMR zog dies in Zweifel – und schritt ein.
Europarat, nicht EU
Großbritannien ist an das Urteil des EGMR gebunden, da der Gerichtshof auf Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention geschaffen wurde. Er ist keine Institution der EU, sondern des Europarats, dem 46 Länder angehören (bis kurz nach Beginn des Ukrainekrieges zählte auch Russland dazu).
Die EGMR-Richter wiesen in ihrer Urteilsbegründung im Fall N. darauf hin, dass die UNO Zweifel an der Fairness der Asylverfahren in Ruanda geäußert habe und dass es umstritten sei, ob das autoritär regierte, dicht besiedelte und bitterarme Land ein sicheres Drittland ist.
Die Gegner des Asylpakts – zu denen neben NGOs, mehreren UN-Organisationen und den britischen Kirchen auch Thronfolger Charles zählt – weisen auf diese Probleme seit Wochen hin.
Dementsprechend glücklich feierten viele von ihnen am Mittwoch den EGMR-Entscheid, auch wenn er nur ein Etappensieg ist. „Wir sind so erleichtert“, sagte etwa Clare Moseley von der Stiftung Care4Calais. Andere von Abschiebung bedrohte Migranten könnten nun ähnliche Einwände wie der Iraker K. N. erheben.
Neuer Abflugtermin
Die britische Regierung zeigte sich unbeeindruckt von derartigen Aussagen. Man arbeite bereits an einem neuen Abflugtermin, sagte Arbeitsministerin Therese Coffey, die Berichte dementierte, wonach London die Anerkennung der Europäischen Menschenrechtskonvention überdenken könnte.
Auch die Regierung in Kigali zeigte sich entschlossen, den Pakt mit London umsetzen zu wollen. Man könne Zehntausende Menschen aufnehmen, hieß es.
Zahlen sinken nicht
Nach Ansicht Londons soll die Möglichkeit, am Ende in Ruanda zu landen, Migranten davon abhalten, sich mithilfe von Schleppern auf den Weg nach Großbritannien zu machen – und den Menschenhändlern so das Handwerk legen.
Experten halten das allerdings für fraglich. Die Zahl der Migranten, die in wackeligen Booten oder festgeklammert an Lkw den Ärmelkanal überqueren, ist seit Bekanntgabe des Deals nicht merklich gesunken und hat am Dienstag gar den höchsten Wert seit zwei Monaten erzielt.
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