Ankara droht Wien mit Sanktionen

Plakate in Eriwan erinnern zum heutigen Gedenktag an den Völkermord an 1,5 Millionen Armeniern
Nach Österreich gerät nun auch Deutschland in die Schusslinie wegen "Völkermord"-Ächtung.

Deutschland rechnet heute mit dem, was Österreich gerade von der türkischen Regierung serviert bekam: Die „Einberufung“ ihres Botschafters und mögliche wirtschaftliche Sanktionen als Protest gegen die Bezeichnung des türkischen Massakers an den Armeniern 1915 als „Völkermord“. Österreich sollen Sanktionen bereits angekündigt worden sein. Dabei geht die Berliner Politik offenbar noch weiter als die in Wien. Der Bundestag stimmt heute auf Antrag der Regierungsfraktionen über eine Resolution ab, die „die planmäßige Vertreibung und Vernichtung von über einer Million Armeniern als beispielhaft für Massenvernichtungen, ethnische Säuberungen, ja Völkermorde des 20. Jahrhunderts“ sieht. Kanzlerin und CDU-Chefin Merkel hatte vergeblich versucht, ihrer Unionsfraktion das „V-Wort“ und damit die Verschlechterung der Beziehungen zu Ankara auszureden. Sie war vom türkischen Premier Ahmed Davutoglu zuvor angerufen und davor gewarnt worden. Noch mehr stören dürfte Ankara aber Bundespräsident Joachim Gaucks Nennung des Völkermords in seiner Rede auf einer Armenien-Gedenkfeier im Berliner Dom Donnerstagabend.

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Warnung am Telefon

Im Falle der Völkermord-Erklärung der sechs Parlamentsparteien im Nationalrat in Wien (kein offizieller Parlamentsbeschluss) hatte Ankara am Mittwochabend heftig protestiert: Die Erklärung habe für „Empörung“ gesorgt und werde die Beziehungen zwischen beiden Ländern „dauerhaft beschädigen“, ließ das türkische Außenministerium wissen. Der türkische Botschafter Mehmet Hasan Gögüs wurde aus Wien zurückberufen.Außenminister Sebastian Kurz sagte dazu gestern: „Die Erklärung des österreichischen Parlaments ist zu respektieren. Jetzt gilt es, in die Zukunft zu schauen und an einer Aussöhnung zwischen Türken und Armeniern zu arbeiten. “ Kurz telefonierte mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu. Laut Außenministerium wurde dabei von türkischer Seite bekräftigt, dass die Armenier-Erklärung Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen haben werde. Laut türkischen Medien habe Cavusoglu Österreich „gedroht“. In diplomatischen Kreisen ist davon die Rede, dass die Türkei Wirtschaftssanktionen angekündigt hat und bereits konkrete Maßnahmen sondiert.

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Die schönsten Hände der Welt blättern ein zerlesenes Buch behutsam wie eine Reliquie um. Es ist eine armenische Fibel für Erstklässler. Eine Bekannte, die sie vor über zwanzig Jahren von Armeniern bekam, die vor Pogromen aus dem aserbaidschanischen Baku nach Moskau fliehen mussten, hat sie mitgebracht für die Gastgeberin: Naira Asatryan, eine armenische Pianistin, die im kroatischen Dubrovnik verheiratet ist. Der Sohn kommt im Herbst zur Schule. Edgar, der ein bisschen Armenisch spricht und neben dem Lateinischen auch das von einer mehrere tausend Jahre alten Keilschrift abgeleitete armenische Alphabet lernen soll.

"Wir Armenier", sagt die 37-Jährige und meint damit die gesamte, mehrere Millionen zählende und über die halbe Welt verstreute Diaspora, "passen uns schnell an. Unsere Sprache und unsere Kultur vergessen wir trotzdem nicht".

In einfachen Worten hat Naira Edgar daher auch schon von dem Massaker vor genau hundert Jahren erzählt. Die Mehrheit der im Osmanischen Reich lebenden Armenier starb nach der kollektiven Deportation in die wasserlosen Wüsten Mesopotamiens oder schon auf dem Weg dorthin.

Rund um den Jahrestag de Völkermord-Beginns im April (24.) pilgern ganze ganze Schulklassen zur Gedenkstätte Zizanakaberd, der Schwalbenfestung hoch über Eriwan, der Hauptstadt der Ex-Sowjetrepublik Armenien. Mit Blumen in den Händen war auch Naira mit dabei. Zum Gedenken an den Todesmarsch der Vertriebenen hätten alle die zwei Kilometer zu Fuß zurückgelegt. "Sogar die ganz Kleinen. Auch in unserer Familie haben wir immer wieder über die Tragödie gesprochen."

Ihre Urgroßeltern väterlicherseits hatten sich schon bei den ersten Pogromen zwischen 1894 und 1896, bei denen zwischen 80.000 bis 300.00 Menschen starben, ins russische Armenien geflüchtet. Nairas Großeltern kamen bereits in der neuen Heimat zur Welt. Von der alten, die sie nur aus Erzählungen ihrer Eltern kannten, sprachen sie dennoch oft. Die Tränen, die ihrer Großmutter dabei oft in den Augen standen, gehören zu Nairas frühesten Erinnerungen.

Und sie erinnert sich an die Blockade nach dem Ende der Sowjetunion, als die Türkei und Aserbaidschan die Grenzen zu Armenien dichtmachten. Bis Iran eine Gaspipeline baute und das stillgelegte armenische Kernkraftwerk Metsamor wieder ans Netz ging, gab es nur stundenweise Strom.

Zu Hause nur elf Grad

"Im Winter", sagt Naira, "hatten wir zu Hause höchstens elf Grad. Mutter hat die Wäsche drei Jahre lang mit eiskaltem Wasser gewaschen. Und ich habe mit vor Kälte blauen Fingern meine Etüden gespielt." Für die Aufnahmeprüfung am Konservatorium, wo auf einen Studienplatz ein Dutzend Bewerber kommen.

Naira wird genommen und gehört, als das Konservatorium in Eriwan im Jahr 2000 einen Studenten-Austausch mit Kroatien vereinbart, zu den neun Auserwählten: In Dubrovnik trifft sie Adrian, der sechs Monate später ihr Ehemann wird. Das war kein Zufall", sagt Naira. "Nichts im Leben ist zufällig." Denn der Schutzpatron von Dubrovnik ist der aus Armenien stammende Heilige Blasius. "Das macht mir das Leben hier noch leichter", sagt Naira.

Längst gefeierte Pianistin, spielt sie zuweilen auch in der Lounge von Luxus-Hotels. Unter den Gästen sind auch Türken. Einige suchten anschließend sogar das Gespräch mit ihr. Einer bat sie sogar, eine armenische Volksweise zu spielen. "Wunderschön", habe er hinterher gesagt. Und: "Ein bisschen wie unsere eigene Musik." Naira nippt an ihrem Tee: "Später, zur Hochzeit hat er mir hundert Euro geschenkt und eine teure Armbanduhr." Die Worte, auf die sie so wartet, hat auch er nicht gesagt: Es tut mir leid.

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