"Mein Staat kämpft gegen mein Volk": Das schwere Los der arabischen Israelis

"Mein Staat kämpft gegen mein Volk": Das schwere Los der arabischen Israelis
Nach den Hamas-Terrorattacken schlägt dieser Bevölkerungsgruppe – immerhin 20 Prozent der Einwohner – mitunter Argwohn, Hass, Gewalt entgegen. Es gibt aber auch ein bewusstes Miteinander.

"Mein Staat kämpft gegen mein Volk" – so lautet das alte Dilemma der arabischen Staatsbürger Israels (immerhin 20 Prozent). Muhammad Darausche von der Leitung der jüdisch-arabischen Begegnungsstätte Givat Haviva erweiterte es in der Vorwoche: Im jetzigen Krieg am und im Gazastreifen gegen die Hamas zeige sich die Zwangslage der palästinensischen Israelis stärker noch als sonst.

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Denn bei der Attacke der Hamas am 7. Oktober metzelten Terroristen alle nieder, auf die sie trafen. Unter den 1.400 Todesopfern finden sich neben Juden auch Araber und Ausländer. Hamas machte keinen Unterschied.

Jetzt aber warnt Darausche davor, dass im Gegenzug in Israel ebenfalls die Unterschiede verloren gehen. Letztlich führe Angst zu Hass und Rassismus. Und die Angst sei diesmal größer als nach früheren Gewaltausbrüchen. Auf beiden Seiten.

Der Araber Hadi ist ein Polier aus dem Dorf Kalansua. Vor zwei Wochen war er mit drei Kollegen auf dem Weg zu seiner Baustelle in Hadera. Plötzlich waren sie von einer Gruppe junger Männer umringt: "Sie forderten unsere Ausweise und bedrohten uns. Dann tasteten sie uns ab. Fast eine Stunde lang hielten sie uns auf."

Dann sei endlich eine Polizeistreife gekommen und habe die willkürliche Aktion beendet. "Die waren alle bewaffnet, wir hatten echt Schiss, dass sie uns abknallen."

Immer wieder hört man: "Tod den Arabern"

Kein Einzelfall, wie auch in früheren Spannungszeiten. In diesen Tagen aber erhält der "spontane Volkszorn" offiziellen Antrieb aus der Regierung. Ihr Ultra-Rechtsaußen Itamar Ben Gvir, Minister für Innere Sicherheit, unterstützt und fördert die Bewaffnung von Zivilisten.

Er träumt von einer "Naqba II", also einer neuen Vertreibung palästinensischer Einwohner. Für seine Anhänger bietet der Krieg eine günstige Gelegenheit, das Chaos zu schüren. Wenn sie nicht "Tod den Arabern" schreien, rufen sie "Araber raus". Und sie meinen, was sie grölen.

Die Polizei macht mittlerweile keinen Unterschied zwischen Hamas-Sympathisanten und Empathie für die zivilen Opfer in Gaza. Mehr noch: Ben Gvir trommelte den Innenausschuss des Parlaments zusammen – wegen angeblich drohender Unruhen und Sabotage-Aktionen arabischer Bürger. Doch selbst sein Polizeichef sagte in diesem Kontext: "Null Zwischenfälle". Darausche, der alles andere als ein Hamas-Sympathisant ist, ergänzte: "Wir haben das Recht auf Mitgefühl für unser eigenes Volk."

Dennoch wurde Aram Huseyl, ein Bürgermeisterkandidat aus Rahat am Gazastreifen, als Kollaborateur festgenommen. Er hatte auf seiner Webseite eine sachliche Analyse der Lage mit einer Landkarte des Kampfgebietes runtergeladen. Trotz Nachweises, dass diese auch auf mehreren anderen israelischen Webseiten zu finden ist, blieb er fast zwei Wochen lang in U-Haft.

Mob forderte den Rauswurf arabischer Studenten - und bekam ihn

Es herrscht Misstrauen, selbst in Hochburgen der Koexistenz wie Universitäten und Krankenhäusern. Wada Sada, langjährige Dozentin am Kaye-College in Kfar Sava, wurde für ihre Postings gekündigt. Ein Richter fand sie allenfalls "grenzwertig".

Vor dem Netanya-College rottete sich ein mit Lynch drohender Mob vor dem Studentenwohnheim zusammen. Der Mob forderte den Rauswurf der arabischen Studenten. Und bekam ihn. Bürgermeisterin Miriam Feierberg schickte die Studenten nach Hause. Evakuierte aus Israels Grenzorten zogen ein.

Jüdische Patienten verweigern die Behandlung durch arabische Ärzte

Posten und Posting lagen auch bei Dr. Abed Samara vom Sharon-Hospital zu eng beieinander. Sein Profilbild war schon seit zwei Jahren die grüne Fahne des Propheten. Sie ähnelt der Hamas-Flagge. Allerdings ist auf der des Kardiologen eine weiße Friedenstaube zu sehen. Ein Unterschied, den die Krankenhausleitung übersah.

Eine Krankenschwester, die ebenfalls der Sympathien für Hamas verdächtigt wurde: "Ich habe nach dem Massaker freiwillig Sonderschichten eingelegt, kaum ein Auge zugemacht, und ich kann erwarten, dass zwischen Sympathien für die Hamas und palästinensische Zivilisten unterschieden wird." Immerhin geht fast die Hälfte aller Neuzulassungen in Israel an arabische Ärzte.

Doch jüdische Patienten verweigern in diesen Tagen häufig die Behandlung durch arabische Ärzte. Dr. Oudi Ibrahim: "Da hört man hässliche Worte, die nicht immer leicht wegzustecken sind." Die Krankenhausleitungen aber geben nicht nach. Der Beauftragte für Zusammenarbeit am Shiba-Hospital in Ramat Gan sagt es in aller Deutlichkeit: "Bei uns im Team sind alle Israelis. Wem das nicht passt, muss woanders hingehen."

Es gibt auch Beispiele für jüdisch-arabischen Zusammenhalt in Israel

Klar ist in diesem Krieg: Die Hamas tötet alle. Der erste hochrangige Offizier, der im Gazastreifen fiel, war Oberstleutnant Salman Habka aus dem Dorf Dschat. Und Sleman Schuebe (43) aus Rahat rettete mit seinem Taxi-Minibus mehr als 30 Menschen im Kugelhagel das Leben.

Ein weiteres Beispiel: Abu Habak vom Beduinenstamm der Asasme und sein Notfallsanitäter-Team halfen den Bergungstrupps noch während des Angriffs. Unbewaffnet, aber mit Ortskenntnis. Telefonisch wurden sie von Hamas-Scharfschützen allerdings in eine Falle gelockt. Sie entkamen im letzten Moment.

Nicht alle ignorieren diese Fakten. Es bilden sich zunehmend jüdisch-arabische Bürgerpatrouillen, um gemeinsam Lynch-Drohungen und Pöbeleien auf den Straßen zu verhindern. Das macht Mut.

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