Ein "begabter Schüler", der die Juden hasste
Als Schüler hat er sich "rein fachlich gut geschlagen". War "sehr fleißig" und "begabt". Erzählt der Direktor des Zentrums für Erwachsenenbildung im Kopenhagener Vorort Hvidovre, das der 22-jährige Omar Abdel Hamid el-Hussein besucht hat. Doch die Mitschüler des Sohnes palästinensischer Einwanderer zeichnen noch ein anderes Bild von dem jungen Mann: Er sei sehr temperamentvoll gewesen und in Diskussionen hitzig, besonders wenn es um den Nahostkonflikt ging. Und er habe gesagt, dass er Juden hasse.
In der Nacht auf Sonntag erschoss dieser Mann einen jüdischen Wachmann vor einer Synagoge in Kopenhagen. Zuvor hatte er bei einem Attentat auf ein Kulturcafé einen Filmemacher erschossen und mehrere Personen verletzt, sein vermutlich eigentliches Ziel, den Mohammed-Karikaturisten Lars Vilks, aber nicht erwischt. Schließlich wurde er nahe seiner Wohnung von der Polizei gestellt und erschossen.
Fest steht, dass el-Hussein im Visier der Polizei war. Einerseits sei er wegen Gewalt- und Drogendelikten bekannt gewesen. Bis vor Kurzem saß der Attentäter in Haft: Er hatte im November 2013 eine schwere Messerattacke in einer S-Bahn verübt. Laut Danmarks Radio wurde er dafür im Dezember 2014 zu zwei Jahren Haft verurteilt, aber im Jänner entlassen – weil ein Gutteil der Strafe durch die U-Haft verbüßt war. Im Gefängnis soll er den Wunsch geäußert haben, für die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in Syrien zu kämpfen. Die Gefängnisbehörden hätten seinen Namen deshalb auf eine Liste radikalisierter Häftlinge gesetzt, schreibt die Zeitung Berlingske. Kurz vor seiner Tat soll er ein Dschihad-Video auf Facebook geteilt haben.
Bilder von der Trauerkundgebung in Kopenhagen
Verdächtige in U-Haft
Auch als Mitglied im Bandenmilieu war el-Hussein aufgefallen. Laut Ekstra Bladet gehörte er der Gang "Brothas" an und soll sich öfters in jenem Internet-Café aufgehalten haben, in dem die Polizei Sonntag mehrere Personen festnahm. Über zwei wurde wegen Verdachts der Beihilfe zum Mord, zum Mordversuch und zur gefährlichen Körperverletzung die U-Haft verhängt. Sie sollen dem Täter auch Waffen geliefert haben.
Trauer in Dänemark
Unterdessen gedachte Dänemark am Montag mit zahlreichen Trauerkundgebungen der Opfer des Attentäters. Zur Hauptveranstaltung am Abend in Kopenhagen hatten sich rund 40.000 Menschen versammelt. Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt hielt vor dem am Samstag überfallenen Kunstcafé eine Rede. Unter den Gästen waren auch Dänemarks Kronprinz Frederik, Schwedens Regierungschef Stefan Löfven, die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo und der "Charlie Hebdo"-Redakteur Patrick Pelloux.
"Die Juden sind ein Teil Dänemarks und das Land wäre nicht mehr das, welches wir kennen, falls sie gingen. Aber natürlich können sie tun, was sie möchten", sagte Thorning-Schmidt in Reaktion auf den Aufruf von Israels Premier Netanyahu, Europas Juden sollten nach Israel auswandern.
Ähnlich sieht das der dänische Chefrabbiner Yair Melchior: Es sei das Ziel von Terrorismus, Menschen Angst einzuflößen. "Wir lassen uns nicht von Terroristen dazu zwingen, unser tägliches Leben zu ändern, in Angst zu leben und an andere Orte zu fliehen", sagte Melchior im israelischen Radio. Juden könnten nach Israel auswandern, weil sie den jüdischen Staat liebten, "aber nicht, weil sie Angst haben, in Dänemark zu leben".
Nach den Terrorattacken in Paris und zuletzt in Kopenhagen gibt es einen Anstieg von Antisemitismus sowie Islamophobie in der EU, sagt Morten Kjaerum, Direktor der in Wien ansässigen EU-Agentur für Grundrechte. Israel ruft europäische Juden auf, nach Israel auszuwandern, viele europäische Politiker hingegen versichern jüdischen Gemeinden Unterstützung. Sie appellieren an Juden, in Europa zu bleiben.
KURIER: Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans warnt vor steigendem Antisemitismus: "Wenn Juden glauben, dass ihre Zukunft nicht in Europa liegt, hat Europa keine Zukunft". Was ist Ihr Befund?
Morten Kjaerum:Wir sind tief besorgt über steigenden Antisemitismus, den es überall in Europa gibt. Nach Paris haben wir sofort unser Informationsnetzwerk aufgefordert, alle Reaktionen jüdischer Gemeinden zu melden. Aktuell steigt die Angst vor Antisemitismus in Frankreich und Großbritannien, viele Juden überlegen, auszuwandern.
Was führt zur Zunahme von Antisemitismus und Islamophobie?
Die Wirtschaftskrise und die steigende Arbeitslosigkeit führen zu höherer Bereitschaft, Sündenböcke zu suchen. Bei Antisemitismus spielt auch die Lage im Nahen Osten eine Rolle. In Teilen Osteuropas gibt es einen traditionellen Antisemitismus, Juden werden für die Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht.
Machen die Mitgliedsländer genug gegen Antisemitismus? In unserem Bericht 2013 stellen wir fest, dass die Staaten nicht immer vorbereitet und vorsichtig sind. Einige haben keine gute Arbeit geleistet. Auch die Polizei ist nicht gut ausgebildet, die Beschwerden von Minderheiten ernst zu nehmen. 80 Prozent jener, die von antisemitischen bzw. rassistischen Vorfällen betroffen waren, haben diese nicht der Polizei gemeldet, weil sie ihr nicht trauen. Sehr oft gibt es in der Polizei starke Vorurteile gegenüber Minderheiten oder Menschen anderer Hautfarbe. Auch in Österreich.
Bedroht der radikale Islam unseren westlichen Lebensstil?
Die Terrorattacken sind ein Angriff auf Menschenrechte und Demokratie. Ich hoffe, unsere Gesellschaften sind robust genug, damit umzugehen.
Was steht der Agentur bevor? Wir müssen Antisemitismus, Rassismus und Islamophobie noch tiefer beobachten und Trends feststellen. Moderate Muslime brauchen Unterstützung. Wir müssen auch unsere Sprache ändern.
Was meinen Sie damit? Wir müssen radikale Gruppen klar benennen, nicht den Islam als terroraffine Religion abstempeln. Christen würden auch nicht akzeptieren, wenn eine radikale christliche Sekte zur Identifikationsfläche für die gesamte Christenheit gemacht würde.
Wie bewerten Sie die Integrationsdebatte in Österreich?Österreich ist auf einem gutem Weg. Es braucht mehr Integration nicht nur bei Bildung, sondern in allen Lebensbereichen: In den Medien sollten mehr Menschen mit ethnischem Hintergrund arbeiten, zu Wort kommen und auch als Experten einbezogen werden. Sowohl Migranten als auch die Aufnahmegesellschaft sind aufgefordert, sich offen der Wertedebatte zu stellen.
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