Angst vor Ansteckung? Putins virusfreier "Bunker" in Sotschi
Kaum jemand hat Putin seit März persönlich getroffen, Russlands Präsident meidet die Öffentlichkeit. Jetzt soll er sich in Sotschi in einer Kopie seines Moskauer Büros verschanzt haben.
Schon den ganzen Frühling witzelten die Russen über „Putins Bunker“. „Wenn ihn jemand als Geisel genommen hat, müsste er doch blinzeln“, heißt es in einem Comic, das den russischen Präsidenten in seinem Büro zeigt: Zwei Flaggen, das Wappen an der Wand, der Bürotisch in dem spartanisch eingerichteten Zimmer – es ist immer exakt dieselbe Umgebung, in der Putin seit Beginn der Pandemie zu sehen ist.
Dass das unabhängige Medium Proekt jetzt aufgedeckt hat, dass es von diesem Büro auch noch eine exakte Kopie in Sotschi gibt, mit der vorgegaukelt wird, dass Putin in Moskau sei, macht die Sache nicht besser. Denn während Russland massiv unter der zweiten Corona-Welle leidet, Ärzte in Krankenhäusern von abgewiesenen Corona-Patienten berichten und viele Todesfälle nie in der Statistik auftauchen, sitzt der Präsident am Schwarzen Meer in seiner Residenz in Isolation – und lässt kaum jemanden zu sich.
Versteckt sich Putin vor der Öffentlichkeit? Und wenn ja, warum?
Antworten auf diese Fragen gibt es vom Kreml keine. „Präsident Putin hat keinen Bunker“, ließ Kremlsprecher Dmitrij Peskow mehrmals wissen; er arbeite pandemiebedingt in seiner Residenz in Nowo-Ogarewo, einem Vorort Moskaus – also quasi im Homeoffice. Und die Sache mit Sotschi sei schlichtweg „fake“.
Politische Beobachter schenken dem freilich keinen Glauben. Denn schon seit Beginn der Pandemie hat sich Putin massiv isoliert: Im Kreml akkreditierte Journalisten, die ihn normalerweise regelmäßig zu Gesicht bekommen, haben ihn seit Monaten nicht mehr gesichtet: „Kein Zeitungsjournalist, mich inklusive, hat ihn seit Beginn der Pandemie gesehen“, sagt etwa Andrej Kolesnikow, der für den Kommersant berichtet. Regierungsvertreter, die ihn nicht wie alle anderen per Video erleben wollen, werden zuvor getestet und zwei Wochen in Quarantäne-Hotels untergebracht, die sie nicht verlassen dürfen – sowohl in Sotschi als auch in Nowo-Ogarewo. Anschließend müssen sie durch Desinfektionstunnel, um wirklich virenfrei zu sein – ebenso wie übrigens alle engen Mitarbeiter, die derzeit durchgehend in der Nähe Putins in Gästehäusern leben.
Krankheitsparanoia
Woher diese Paranoia kommt, darüber kann nur gerätselt werden. Die einen sehen darin übertriebene Vorsicht aus KGB-Zeiten. Die anderen fühlen sich an Stalin erinnert, der auch vorgab, stets in Moskau und stets im Dienst zu sein. Die dritten wollen einen eigenartigen Hang zu übertriebener Hygiene und Vorsicht erkennen – Putin hatte beim G20-Treffen 2019 in Japan auch schon einen eigenen Trinkbecher dabei, während alle anderen Staatenlenker die vorhandenen Gläser nahmen.
Andrej Kolesnikow von Carnegie Moskau - ein Namenskollege des Journalisten - mutmaßt, dass Putins Selbstisolation etwas mit der zunehmenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu tun habe. Und mit dem Umstand, dass immer mehr unangenehme Fakten über das Pandemie-Missmanagement und über Putin selbst ans Licht kommen, wie etwa die Existenz seiner unehelichen Tochter. Das Regime reagiere darauf mit Repression – wie etwa einem kürzlich erlassenen Gesetz, mit dem einfache Bürger zu „ausländischen Agenten“ erklärt werden können; ein Gesetz, das auf Journalisten und Menschenrechtler abzielt.
„Der Isolationismus und die Bunkermentalität verzerren die Wahrnehmung der Realität“, schreibt Kolesnikow. Aber: „Der Bunker ist durchlässig.“
Vorsichtsmaßnahmen. Österreichs Kanzleramt ist derzeit – soweit es geht – im Homeoffice: Wer nicht unbedingt ins Büro muss, arbeitet von zu Hause. Für alle anderen, so das Bundeskanzleramt, „besteht die Möglichkeit einer wöchentlichen Testung. Das betrifft auch den Bundeskanzler und sein engstes Team. Wir machen davon auch Gebrauch.“
Zudem wird immer getestet, sobald eine Reise ansteht – wie etwa diese Woche zum Europäischen Rat in Brüssel – oder wenn ein internationaler Gast ins Kanzleramt kommt. „Hier werden dann der Kanzler und alle Mitarbeiter, die dabei sind, getestet.“ Alle regelmäßigen Sitzungsformate wurden auf Videokonferenz umgestellt – die Ministerratssitzung etwa findet nur noch virtuell statt. Im Kanzlerbüro wurde zudem jeder zweite Sessel entfernt, um den notwendigen Abstand einzuhalten, Besprechungen mit mehreren Personen werden in größere Sitzungszimmer verlegt.
Verdachtsfälle im Umfeld von Sebastian Kurz gab es trotz aller Vorsicht – allerdings bisher ohne Folgen für den Kanzler. Kurz selbst ist auch privat sehr vorsichtig: Er habe seine Kontakte sehr stark reduziert. „Besonders Treffen mit seinen Eltern finden nur mehr sehr selten statt und unter Einhaltung der Abstandsregeln“, heißt es.
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