Damals war das Land auch sehr geeint. Spricht man jetzt mit Soldaten, fühlen die sich oft allein gelassen – von der Politik, von denen, die nicht direkt betroffen sind.
Ich würde nicht sagen, dass es eine Spaltung gibt. Ja, es gibt weniger finanzielle Unterstützung seitens der Bevölkerung für die Armee, aber das Leben ist einfach teurer geworden. Zwischen den Flüchtlingen im Ausland und denen, die geblieben sind, gibt es aber einen Riss. Die Mehrheit derer, die gegangen sind, wird nicht zurückkommen. Und die fehlen dem Land.
Vor zwei Jahren stand das Land mit riesiger Mehrheit hinter Präsident Selenskij. Wie steht er jetzt da?
Eigentlich spielt Politik keine große Rolle mehr. Selenskijs Partei wird als künstlich wahrgenommen, und er selbst war ohnehin nie der Polit-Star, den der Westen anfangs in ihm sah.
Was erwarten die Ukrainer von Donald Trump und seiner Ankündigung, den Krieg schnell zu beenden?
Die Wahl war ein Schock. Viele dachten, die USA würden die Hilfen einfach stoppen. Mittlerweile denken viele, dass die Amerikaner uns doch noch länger unterstützen werden – denn Putin hat offensichtlich keine Lust, mit Trump zu reden.
Hoffnungsträger ist Trump darum aber keiner. Er weiß ja selbst nicht, was er genau machen will. Auch in seinem Team sind die Meinungen gegensätzlich, Musk ist offenkundig pro Putin, andere sind große Unterstützer der Ukrainer. Da ist keine Logik dahinter.
Vor zwei Jahren sagten Sie, der Krieg wäre erst dann vorbei ist, wenn Putin tot ist. Glauben Sie das noch immer?
Ja, sogar noch mehr. Es kann eine Kriegspause geben, aber die wird nicht von Dauer sein. Putin hat sein Ziel klar formuliert: Er will die unabhängige Ukraine vernichten.
Wünschen sich die Ukrainer Verhandlungen?
Die Ukraine ist heute ein ganz anderes Land als zu Kriegsbeginn. Sieben Millionen Menschen sind im Ausland, ebenso viele sind innerhalb des Landes geflohen. Mehr als 100.000 davon sind sogar in die okkupierten Gebiete zurück, weil sie mit den Staatshilfen nicht auskamen, keine Arbeit fanden. Das ist hoch problematisch.
Diese Menschen denken sicherlich anders über Verhandlungen als der Rest. Etwa 20 Prozent geben an, die besetzten Territorien abtreten zu wollen. Diese Zahl steigt kontinuierlich. Die Menschen sind müde, physisch und psychisch. Auch ich trinke viel mehr Kaffee als früher.
Sie haben immer auf Russisch geschrieben, auch nach Kriegsbeginn. Der Mehrheit der Ukrainer ist die Sprache aber verhasst. Warum bleiben Sie dabei? Es gibt auch keinen Markt mehr für russische Bücher.
Prosa schreibe ich auf Russisch, Sachbücher und Tagebücher auch auf Ukrainisch. Und ja, die Buchläden verkaufen keine russischsprachigen Bücher mehr, auch meine findet man nicht mehr.
Stört Sie das nicht?
Nein. Meine ukrainischen Texte sind ja zu kaufen. Auf Ukrainisch Prosa zu schreiben wäre undenkbar? Nein. Russisch ist meine Muttersprache. Das war sie für 30, 40 Prozent der Bevölkerung. Einige Schriftsteller haben das gemacht, doch selbst daran gab es Kritik innerhalb der Autorenszene. Vielleicht aus Furcht vor Konkurrenz, wer weiß.
Werden Sie angegriffen, weil Sie noch auf Russisch schreiben?
Ja, die ganze Zeit. Ich bin praktisch gecancelt, seit mehr als einem Jahr. Das geschah nach einem Auftritt mit Masha Gessen in Toronto, sie ist eine amerikanische Journalistin sowjetischer Herkunft. Ukrainische Intellektuelle hatten sie zuvor gecancelt, obwohl sie ganze Zeit gegen Putin war, hatten gefordert, dass ich mich weigern solle, mit ihr über die Ukraine zu sprechen. Das habe ich aber abgelehnt.
Dass ich gecancelt bin, ärgert mich aber nicht. Ich hatte seit 30 Jahren mit meinen Freunden Diskussionen über meine Sprachwahl, ich bin daran gewöhnt.
Dass ich gecancelt bin, ärgert mich aber nicht. Ich hatte seit 30 Jahren mit meinen Freunden Diskussionen über meine Sprachwahl, ich bin daran gewöhnt.
Jetzt, wo die Gesellschaft sich radikalisiert, gibt es natürlich Tausende, die mich hassen. Das ist nur verständlich, ich bin ja der bekannteste Schriftsteller aus der Ukraine. Aber russischsprachige Intellektuelle und Schriftseller werden allgemein marginalisiert, vielen Autoren geht es so wie mir. Aber thematisieren will das auch kaum einer – es ist schlicht zu anstrengend und unbequem.
2022 sagten Sie, die Ukrainer hätten noch zwei Jahre Kraft zu kämpfen. Jetzt ist es bald 2025. Wie soll das weitergehen?
Meine Hoffnung ist: Putin lebt nicht ewig. Und Russland hat auch ökonomisch nicht endlos Ressourcen, das wird aber oft ignoriert. Gestern etwa war ich in Wien im Plachutta und sprach genau darüber. Hinter mir saß ein Paar, er ein österreichischer Geschäftsmann mit Aufträgen in Russland, sie Russin. Sie widersprachen lautstark und erzählten mir, wie wunderbar dort alles sei – obwohl ich ihnen am Handy die Nachrichten darüber zeigte. Die Menschen sind blind – und wollen, dass die anderen auch blind bleiben. Sie könnten sich leicht informieren, schauen aber weg.
Das ist eine chauvinistische, patriotische Blindheit, die leider nicht so schnell verschwinden wird.
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