Homo-Ehe-Gegner strampelten sich ins Eck
Die politische Entwicklung in Frankreich ist immer für Überraschungen gut, und vielleicht wird eines Tages die am Mittwoch gefeierte, erste Hochzeit zwischen zwei Männern auf französischem Boden, in Montpellier, im Beisein von hunderten jubelnden Gästen, abseits von ein paar rechten Miesmachern, als der Auftakt für ein Comeback von Francois Hollande in der Gunst der Bevölkerung betrachtet werden.
Dass diese erstmalige Umkehr ausgerechnet am Höhepunkt der Proteste gegen die Homo-Ehe erfolgte, ist kein Zufall: nach Monaten von Massenaufmärschen unter der Führung von erzkonservativen Untergangspropheten und bigotten Hysterikern ist die Toleranzgrenze der französischen Mehrheit erschöpft. 70 Prozent der Befragten, so eruierten Meinungsforscher, wünschen ein Ende dieser Proteste. Praktisch alle Führungspersönlichkeiten der Bewegung gegen die Homo-Ehe mussten wohl oder übel ihre Niederlage eingestehen, indem sie ihren letzten großen Aufmarsch vom vergangenen Sonntag in Paris zum vorläufigen Schlusspunkt der Straßendemos erklärten.
Nach einer Sitzungsunterbrechung hatte sich zwar damals dieser Abgeordnete zu einer Entschuldigung durchgerungen, einige seiner Gesinnungsgenossen rasterten aber bald darauf wieder aus. Ein nervöser Ministerialbeamter, der in der Nähe der Regierungsbänke aufgetaucht war (aber nicht dem Regierungslager angehörte, wie sich später herausstellte), hatte unabsichtlich eine Grimasse geschnitten, woraufhin Oppositionsabgeordnete glaubten, die Regierungsvertreter würden sich „über die Opposition lustig machen“. Darauf stürmten sie los, einer schlug mit der Faust auf einen SP-Abgeordneten, Parlamentswächter mussten dazwischen treten, um dem Spuk ein Ende zu bereiten.
Solche Vorfälle und die Attacken winziger ultrarechter Grüppchen auf Polizisten bei Auflösung der Demonstrationen der Gegner der Homo-Ehe waren zwar nicht unbedingt symptomatisch für die Stimmungslage der Mehrheit der Demo-Teilnehmer. Sie trugen aber auch nicht zum Ansehen dieser Bewegung bei, die sich laut Umfragen von Anfang an auf keine Mehrheit stützen konnte.
Mehrere Faktoren
Dass diese Proteste überhaupt eine derartige Dimensionen in Frankreich annehmen konnten, nachdem in deutlich katholisch geprägteren Ländern wie Spanien, Portugal, Belgien oder Argentinien, und in einem konservativ regierten Land, wie Großbritannien, die Homo-Ehe vergleichsweise problemlos beschlossen wurde, hängt mit dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren zusammen. Als erstes muss Frankreichs Tradition der politisch-religiösen Polarisierung erwähnt werden: Frankreichs säkulare Republik etablierte sich in einem besonders harten Kampf gegen die einst allmächtige katholische Kirche. Das Prinzip einer besonders strikten Trennung zwischen Staat und Kirche („Laicité) gehört zum französischen Nationsverständnis. Das gilt namentlich, aber nicht nur für die französische Linke. Das bedeutet: kein Konkordat, keine Kreuze (und inzwischen auch keine Symbole anderer Konfessionen) an öffentlichen Schulen oder in Ämtern, kein Religionsunterricht. Aber im Gegenzug etablierte sich ein mächtiges, vor allem katholisches Privatschul-System, das unter der Auflage, die staatlichen Lehrprogramme zu befolgen, von der öffentlichen Hand mitfinanziert wird.
Es waren auch die Versuche einer einstigen Linksregierung, die konfessionellen Schulen in das öffentliche Schulwesen einzubinden und zu reglementieren, die 1984 zu immensen Protestdemonstrationen führten. Die damalige sozialistische Staatsführung unter Francois Mitterrand musste ihr Vorhaben wieder aufgeben. Genau an diesem seinerzeitigen Sieg über einen linken Staatschef wollte auch diesmal die Führung der katholischen Kirche anknüpfen: neben den Pfarren stellten die rund 10.000 katholischen Schulen, mit einem beträchtlichen Teil ihrer Lehrer, Schüler und Elternverbände die Mehrheit der Demonstranten gegen die Homo-Ehe.
Zweifellos würden diese Ängste vor einem „naturwidrigen Sündenfall“ auf weniger Wiederhall stoßen, wenn Frankreichs Bevölkerung nicht auch gleichzeitig sozial schwer verunsichert wäre. Die Arbeitslosenrate wächst scheinbar unaufhaltsam (sie liegt bei rund elf Prozent), auch wenn im Vergleich mit den eigentlichen Krisenstaaten in der EU Frankreich noch das Mittelfeld belegt. In fast allen Umfragen halten die Franzosen allerdings den Pessimismus-Rekord in der EU. Sie sehen sich in höherem Maß als andere Völker als Verlierer der Globalisierung, die nur noch mit einem weiteren Abstieg rechnen könnten. Einer der Gründe dafür besteht darin, dass in Frankreich die Arbeitslosenrate schon seit drei Jahrzehnten äußerst selten in relevantem Ausmaß unter die zehn-Prozent-Marke gerutscht ist.
Jobs
Von daher auch der ursprüngliche Glaube der Führer der Bewegung gegen die Homo-Ehe und eines Teils der bürgerlichen Oppositionspolitiker, sie könnten ihre Proteste mit der Wut sozial abgeschlagener Teile der Bevölkerung verbinden, um den in den Umfragen extrem geschwächten sozialistischen Präsidenten eine verheerende Niederlage beizubringen. Einer der Slogans der Proteste lautete demnach: „Nous ne voulons pas de mariage homo, mais du boulot“ (Wir wollen keine Homo-Ehe, sondern Jobs). Die Protestführer setzten dabei auf die tatsächlich verbreiteten Ressentiments gegen die vorgeblich privilegierte Pariser Homo-Szene. Die Idee wurde suggeriert, Präsident Hollande würde frivol anmutende Anliegen befriedigen, statt sich um die wirtschaftlichen Nöte der Bevölkerung zu kümmern. Aber diese Rechnung der Protestbewegung ging nicht auf. Statt dessen wuchs das Unbehagen innerhalb der bürgerlichen Opposition und auch in den Reihen der katholischen Gläubigen über die Ressentiment-geladene Bewegung gegen die Homo-Ehe.
Das ganze Dilemma der bürgerlichen Opposition offenbarte sich bei der Frage, ob sie nach einer eventuellen Rückkehr an die Macht die „Ehe für Alle“ wieder abschaffen und die bereits geschlossenen Heiraten zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern annullieren würde? Dabei eierten auch die vehementesten Oppositionsführer, wie der Chef der UMP (die größte bürgerliche Partei) Jean-Francois Copé, um eine Antwort herum – wohl wissend, dass eine derartige Gesetzesrevision eher unwahrscheinlich ist. Hatte es doch einen Präzedenzfall gegeben: als eine vormalige Linksregierung 1999 einen amtlichen Partnerschafts-Pakt für gleichgeschlechtliche Partner einführte (der allerdings weniger Rechte als die jetztige „Ehe für Alle“ vorsah), tobten die Konservativen gleichermaßen. Sie rührten den Pakt aber nach ihrer Rückkehr an die Regierung nicht an. Zuletzt lobten die Sprecher der Bewegung gegen die Homo-Ehe diesen Pakt, den sie einst so heftig bekämpft hatten, sogar als vernünftige Alternative.
Politische Geiselhaft
Die gewiefte Chefin der rechtspopulistischen „Front National“ , Marine Le Pen, hielt sich auch vorsorglich von dieser Bewegung fern, um ihr liberales Image in Sittenfragen zu bewahren und die Homosexuellen, die auch in ihrer Bewegung präsent sind, nicht zu verstören.
Die UMP hat zwar jetzt einen Teil der jungen Aktivisten gegen die Homo-Ehe aufgesogen. Diese könnten aber die bürgerliche Oppositionspartei in politische Geiselhaft nehmen. Wenn sie die UMP in Sittenfragen in ein allzu konservatives Eck treiben, könnten sie auch deren Chancen bei Wahlen mindern. Erste Effekte sind schon spürbar: bei der bevorstehenden wichtigen Kommunalwahl in Paris, 2014, will die UMP mit einer liberal eingestellten Führungs-Kandidatin, Nathalie Kosciusko-Morizet, die aktuelle rotgrüne Rathausmehrheit bezwingen. Kosciusko-Morizet hatte sich vorsorglich nicht gegen die Homo-Ehe engagiert. Aber genau deswegen droht jetzt eine Masse von gut vernetzten neuen UMP-Mitgliedern, die geradewegs aus der Bewegung gegen die Homo-Ehe kommen, bei der partei-internen Vorwahl die Kandidatur Kosciusko-Morizets zu verhindern. Damit wären die sowieso spärlichen Chancen für eine bürgerliche Rückeroberung von Paris dahin.
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