Amish People: Ewige Aussteiger

Wie eine Jahrhunderte alte Ordnung mit dem digitalen Zeitalter ringt.

Amische gibt es in Europa nicht mehr, ihre letzte Gemeinde schloss 1941.

In den USA sind die Amish in bestimmten Gegenden, in Pennsylvania oder Indiana beispielsweise, nicht selten anzutreffen. Die Täufergemeinschaft, 1693 gegründet, stammt ursprünglich aus der Schweiz und dem süddeutschen Raum. Amish People zu besuchen, ist eine Zeitreise zurück in frühere Jahrhunderte. Ihr Glaube schreibt ihnen Welt-Abgewandtheit vor, wodurch sie Verhaltensweisen über die Zeitläufe hinweg seit dem Barock konservierten.

100-Prozent-Entscheid

Wir besuchen das Dorf Berne im Norden von Indiana im Mittelwesten. Der 23-jährige Nathan fährt mit seiner Pferdekutsche an einer alten, wackligen Telefonzelle vor. Er trägt den spitzen Kinnbart und den breitkrempigen Hut der Amish Männer. Nach seinem Telefonat lässt sich Nathan auf ein Gespräch mit dem KURIER ein: "Telefonieren dürfen wir schon, wir benutzen auch elektrische Geräte. Aber besitzen dürfen wir sie nicht."

Was erlaubt ist und was nicht, bestimmt die Gemeinschaft. Wenn nur einer etwas ablehnt, dann passiert es nicht. Jede Neuerung braucht hundert Prozent Zustimmung.Wenn jeder Einzelne ein Vetorecht hat, zieht der Fortschritt schleppend ein.Auf dem Hof der Familie Hiltey treffen wir Emma, die Großmutter, und Emma, die vierjährige Enkelin. Beide gehen barfuß, tragen lange Kleider und Schürzen und auf dem Kopf schwarze, gefältelte Hauben, denen der Hugenotten nicht unähnlich. Emma, die Großmutter, führt uns durch ein Haus voll handgefertigter Möbel. Sie stehen zum Verkauf.

Aus verschiedenfarbigen Holzsorten tischlern Amish-Männer kunstvolle, hundert Prozent Bio-Möbel, Emma sorgt für das Geschäftliche. Die Preise sind, gemessen an der Handwerkskunst, niedrig. Die Verkaufserlöse wandern in eine Gemeinschaftskassa, aus der die Amish ihre Arztrechnungen bezahlen. Versicherungen lehnen sie ab, für sie hat Obama bei der Versicherungspflicht extra eine Ausnahme gemacht.

Die Werbung für die Möbel erfolgt über Mundpropaganda. Auf den scherzhaften Hinweis, die Amish-Gemeinde könnte doch die schönen Stücke über Amazon vertreiben, reagiert Emma ernsthaft: "Besucher haben mir schon angeboten, unsere Möbel ins Internet zu geben. Bisher klappte es aber nicht."

Die kleine Emma kann dem digitalen Zeitalter auch einiges abgewinnen. Sie stürzt sich auf mein iPhone und ist sogleich fasziniert vom Fotografieren. Die Großmutter gestattet der Enkelin, mit dem Hightech-Gerät zu spielen, untersagt aber Selfies. Posieren vor der Kamera widerspricht, weil "individualistisch", der Amish-Ordnung.

Amish People: Ewige Aussteiger
Amish, Nathan

Deutsche Bibel

Das Geplauder im Hof auf Deutsch lockt den Vater der kleinen Emma an. Er zeigt uns stolz die alte Bibel, aus der er abends liest. Sie ist eine Lutheranische Bibel, auf Deutsch und in Kurrentschrift gedruckt.

Die Szene ist einigermaßen skurril. Der erdige Hof, die Pferdekutsche, die altertümlich gekleideten, der Jetzt-Zeit entrückten Menschen. Das Mädchen, das aussieht, als wäre es dem Gemälde eines Alten Meisters entstiegen – aber nun auf meinen Knien sitzt und am iPhone 6 SE hängt.

Die Amish sind aus Europa wegen religiöser Verfolgung geflohen. In den USA und Kanada leben 250.000 von ihnen, verteilt auf 400 Siedlungen. Ihre Gepflogenheiten entspringen einerseits der Religion – sie haben bescheiden und weltabgewandt zu leben. Andererseits orientiert sich ihre Ordnung an dem Erhalt ihrer Gemeinschaft. Fernsehen beispielsweise gilt als wenig gemeinschaftsfördernd.

Die Amish erziehen ihre Kinder in selbst finanzierten Schulen. Dort wird Deutsch gelehrt, wie sie sich auch untereinander in deutschen Dialekten unterhalten. Nach der Schulzeit, als Jugendliche, dürfen sie sich einige Jahre "austoben". Danach steht es ihnen frei, die Gemeinschaft zu verlassen, oder in sie mit allen Pflichten einzutreten.

Nur wenige gehenNathan erzählt, dass nur wenige Amish ihre Gemeinschaft verlassen. "Es werden auch Leute von außen in die Gemeinschaft aufgenommen, sofern sie sich den Lebensregeln der Amish anpassen", sagt Nathan. Die Frage, ob es mit dem Aufkommen der Grün-Bewegung öfter einmal Aussteiger gibt, die sich ihnen anschließen wollen, quittiert Nathan mit Verständnislosigkeit. Von einer Grün-Bewegung und modernem Aussteigertum hat er noch nie etwas gehört. Solche trendigen Lebensformen sind zu den ewigen Aussteigern noch nicht durchgedrungen.

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