Am Weltflüchtlingstag fordern Hilfsorganisationen mehr Engagement

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82,4 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Nur ein Bruchteil in Europa. Für Caritas ist die Aufgabe "bewältigbar".

82 Millionen Menschen auf der Flucht

Die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR fordert von den Staats- und Regierungschefs der Welt, ihre Bemühungen für Frieden, Stabilität und Zusammenarbeit zu verstärken. Trotz der Pandemie sei die Zahl der vor Gewalt, Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen fliehenden Menschen im vergangenen Jahr auf nahezu 82,4 Millionen gestiegen, berichtet das UNHCR in seinem neuen „Global Trends“-Bericht. Das sind noch einmal vier Prozent mehr als ein Jahr zuvor (79,5 Millionen).

In Österreich wurden 2020 14.775 Asylanträge verzeichnet, das entspricht ungefähr dem Durchschnitt der letzten 15 Jahre, abgesehen von 2015 und 2016, und bedeutet ein leichtes Plus gegenüber dem Vorjahr.

Am Weltflüchtlingstag fordern Hilfsorganisationen mehr Engagement

Der UNHCR-Bericht legt dar, dass es Ende vergangenen Jahres 20,7 Millionen Flüchtlinge unter UNHCR-Mandat gab, 5,7 Millionen palästinensische Flüchtlinge und 3,9 Millionen Venezolaner und Venezolanerinnen, die aus ihrer Heimat geflohen sind.

Weitere 48 Millionen Menschen waren Binnenvertriebene, also Vertriebene im eigenen Land. Hinzu kommen 4,1 Millionen Asylsuchende. „Hinter jeder dieser Zahlen steht ein Mensch, der aus seiner Heimat vertrieben wurde, und ein Schicksal von Flucht, Entwurzelung und Leid“, sagte UN-Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi. 

Bruchteil nach Europa

Für Christoph Pinter, Leiter von UNHCR Österreich, zeigen die aktuellen Zahlen, dass  sich die allermeisten Flüchtlinge weiterhin nahe der Krisenregionen und oft in Entwicklungsländern befinden. "Lediglich ein Bruchteil der Menschen kommt nach Europa", so Pinter. Vor diesem Hintergrund fordere das UNHCR Österreich und die Europäische Union auf, ihre Verantwortung für den Flüchtlingsschutz wahrzunehmen und außerdem "alle Bestrebungen zur Auslagerung von Asylverfahren zu stoppen".

Geschlossene Grenzen

Der Bericht zeigt auch, dass zum Höhepunkt der Pandemie 2020 mehr als 160 Länder ihre Grenzen geschlossen haben. 99 Staaten machten dabei auch keine Ausnahme für Menschen, die internationalen Schutz gesucht haben.

Während weiter Menschen über Grenzen flüchten, sind Millionen innerhalb ihres eigenen Landes vertrieben. Vor allem durch die Krisen in Äthiopien, Sudan, den Sahel-Ländern, Mosambik, Jemen, Afghanistan und Kolumbien stieg die Zahl der Binnenvertriebenen um mehr als 2,3 Millionen.

Im Laufe des vergangenen Jahres konnten nur 3,2 Millionen Binnenvertriebene und nur 251.000 Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren – ein Minus von 40 und von 21 Prozent im Vergleich zu 2019. Weitere 33.800 Flüchtlinge bekamen die Staatsbürgerschaft ihres Aufnahmelandes. Beim Resettlement, der Aufnahme von Flüchtlingen aus einem Erstaufnahmeland in ein sicheres Drittland, gab es einen dramatischen Einbruch. Nur 34.400 fanden Aufnahme – der niedrigste Wert seit 20 Jahren. Zurückzuführen ist das auf ein drastisches Minus der zur Verfügung gestellten Resettlement-Plätze und auf COVID-19.

"Aufgabe bewältigbar"

Auch die Caritas fordert von der Bundesregierung mehr Engagement in der Flüchtlingspolitik, denn die Aufgabe sei "bewältigbar". Zumindest 100 Familien aus den "griechischen Elendslagern" solle Österreich aufnehmen, außerdem Hilfe vor Ort weiter ausbauen und sich für die Einhaltung internationalen Rechts im Außengrenzschutz einsetzen, so der Appell. Unterstützung erhielt die Hilfsorganisation dabei unter anderem vom ÖVP-EU-Mandatar Othmar Karas.

Vor allem bei der Hilfe vor Ort und den EZA-Mitteln, "da geht noch mehr", sagte der Geschäftsführer der Caritas Wien, Klaus Schwertner, vor Journalisten. Zentral sei außerdem, das Sterben im Mittelmeer zu beenden und die Grenzen unter Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention zu schützen.

"Die Augen zu verschließen, wird nicht helfen und auch nicht ausreichen, wir müssen uns mit der Not beschäftigen", sagte Schwertner. Die Flüchtlingskonvention dürfe im 70. Jahr ihres Bestehens nicht "zu totem Recht" werden, warnte der Caritas-Wien-Chef davor, dass die Flüchtlingskonvention "scheibchenweise abmontiert" wird. Menschenrechtsaktivisten und Hilfsorganisationen kritisierten in den vergangenen Monaten unter anderem vermehrte Pushbacks (Zurückweisungen) von Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen - eine solche Praxis verstößt gegen die GFK sowie die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).

Angst in die Debatte

Auch Karas, Vizepräsident des EU-Parlaments und Präsident des Hilfswerk Österreich, forderte "endlich echte Hilfe vor Ort" und plädierte dafür, die Flüchtlingskonvention weltweit wieder zur "Grundlage des globalen Umgangs mit Flüchtlingen" zu machen. Im EU-Außengrenzschutz dürfe es nicht weiter heißen "blockieren und abschieben", sondern "registrieren und prüfen", sagte Karas. Es brauche ein "breites Comeback des Grundgedanken der Caritas", fasst er zusammen.

Kritik übte Karas an "Populisten", die versuchten, Angst in die Fluchtdebatte zu bringen und bewusst ein "Zerrbild" von Migranten zeichneten, das suggeriere, dass hinter Flüchtlingen nur "Wirtschaftsmigranten und Asylschmarotzer" steckten. "Jeder und jede, der die gemeinsamen (rechtlichen, Anm.) Grundlagen, die wir geschaffen haben, nicht zum Ausgangspunkt des Handelns macht und als Auftrag zum Handeln nimmt, uminterpretiert und andere Argumente sucht, hilft uns nicht, das Problem zu lösen", antwortete der ÖVP-Politiker, angesprochen auf die kompromisslose Linie seiner Partei in Sachen Migration. Er selbst trete jedenfalls für Lösungen ein.

Unterstützung für ihre Forderungen erhielt die Caritas auch von den beiden Migrationsforschern Judith Kohlenberger sowie Gerald Knaus. Die Krise in Griechenland etwa sei keine akute, sondern eine chronische - und "grausames Symptom einer jahrelang verfehlten EU-Politik", so Kohlenberger.

82,4 Millionen Vertriebene auf der Welt [79,5 Millionen 2019], ein Plus von vier Prozent

  • 26,4 Millionen Flüchtlinge [26 Millionen 2019] einschließlich
    • 20,7 Millionen Flüchtlinge unter UNHCR-Mandat [20,4 Millionen]
    • 5,7 Millionen Palästinenser*innen unter UNRWA-Mandat [5,6 Millionen]
  • 48 Millionen Binnenvertriebene [45,7 Millionen]
  • 4,1 Millionen Asylsuchende [4,1 Millionen]
  • 3,9 Millionen geflüchtete Venezolaner*innen [3,6 Millionen]

2020 ist das neunte Jahr in Folge, in dem die Zahl der weltweit zur Flucht gezwungenen Menschen gestiegen ist. Heute ist ein Prozent der Weltbevölkerung vertrieben, und es gibt doppelt so viele gewaltsam vertriebene Menschen wie 2011, als die Gesamtzahl knapp unter 40 Millionen lag.

Mehr als zwei Drittel aller Menschen, die aus ihrem Heimatland geflohen sind, kamen aus nur fünf Ländern: Syrien (6,7 Millionen), Venezuela (4,0 Millionen), Afghanistan (2,6 Millionen), Südsudan (2,2 Millionen) und Myanmar (1,1 Millionen).

Die übergroße Mehrheit der weltweiten Flüchtlinge - fast neun von zehn (86 Prozent) - wird von Ländern aufgenommen, die an Krisengebiete und Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen grenzen. Die am wenigsten entwickelten Länder gewährten 27 Prozent aller Flüchtlinge Asyl.

Im siebten Jahr in Folge gewährte die Türkei der weltweit größten Zahl von Flüchtlingen Schutz (3,7 Millionen), gefolgt von Kolumbien (1,7 Millionen, einschließlich der ins Ausland vertriebenen Venezolaner*innen), Pakistan (1,4 Millionen), Uganda (1,4 Millionen) und Deutschland (1,2 Millionen).

Die Zahl der anhängigen Asylanträge blieb weltweit auf dem Niveau von 2019 (4,1 Millionen), aber die Staaten und UNHCR registrierten zusammen etwa 1,3 Millionen individuelle Asylanträge, eine Million weniger als 2019 (43 Prozent weniger).

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