Afghanistan: Eine Frau will an die Spitze
KURIER: Sie hatten noch vor kurzer Zeit fest vor, bei den Präsidentenwahlen 2014 anzutreten – wieso haben Sie sich dagegen entschieden?
Fawzia Koofi: Wir dachten, dass die neue Generation, die Veränderung Afghanistans erst 2018 wirklich sichtbar wird, dass dann die Zeit reif sein wird für eine Frau im Präsidentenamt.
Ist die Zeit reif für eine Präsidentin?
Sie sprechen anscheinend auf Personen wie Raschid Dostum oder Ismail Khan an. Was sagen Sie zur Kandidatenliste?
Genau. Es ist eine sehr unterschiedliche Liste. Da finden sich Leute, die man als moderate Intellektuelle bezeichnen könnte, aber auch solche, die in Verbrechen verwickelt waren. Einer der Gründe, wieso ich mich nicht beworben habe ist, dass ich möchte, dass diese Leute jetzt noch einmal – und hoffentlich zum letzten Mal – ihre Chance nutzen. 2018 wird eine neue Generation wählen gehen. Ich hoffe, dass die Menschen bis dahin dieser Leute müde werden. Ich denke, ich hoffe, dass es dann bessere Chancen für Frauen gegen wird. Mir geht es nicht darum, anzutreten. Ich möchte gewinnen.
Was für eine Art Präsident braucht dieses Land?
Einen Präsidenten, der das neue Afghanistan repräsentiert. Jemanden, der nicht von ethnischen oder religiösen Seilschaften abhängig ist; mit dem sich das ganze Land identifizieren kann. Einen Präsidenten, der dem Volk rechenschaftspflichtig ist.
2014 wird sehr interessant für Afghanistan – die Wahl, der Abzug der ISAF. Befürchten Sie, dass diese Ereignisse Entwicklungen bremsen oder zurückwerfen können?
Ich denke, der massivste Faktor im kommenden Jahr wird der Abzug der ISAF sein und da vor allem die ökonomischen Auswirkungen. Keiner spricht darüber. Wenn die ISAF jetzt abzieht, werden viele Menschen ihren Job verlieren. Viele Firmen werden schließen. Viele Büros werden schließen. Und genau das wird viele Frauen treffen. Weil sehr viele Frauen in Büros arbeiten. Es werden also in überwiegendem Maße sie sein, die Jobs verlieren. Das ist vor allem auch ein Grund, wieso das Sicherheitsabkommen mit den USA (BSA, Anm.) so wichtig ist – weil dadurch diese Lücke, die sich auftun wird, zumindest etwas geschlossen werden wird.
Ist das BSA vor allem deswegen wichtig oder schlicht auch wegen der Sicherheitslage?
Natürlich auch wegen der Sicherheit. Aber vor allem auch wegen der breiteren Signalwirkung. Unsere Nachbarn haben immer versucht, die Lage in Afghanistan zu beeinflussen und werden das auch 2014 tun. Die Taliban bereiten sich auf die neue Situation vor. Und das tun auch Konservative im Parlament – was Menschen- und Frauenrechte angeht. Da gibt es schon Wortmeldungen gegen diese Rechte. Die wichtigste Botschaft muss sein, dass die internationale Gemeinschaft Afghanistan nicht alleine lässt.
Der Plan war einmal, in Afghanistan eine Demokratie westlichen Zuschnitts zu errichten. Ist das gescheitert?
Dieser Plan ist nicht gescheitert. 2014 wird eine Herausforderung. Wenn wir 2014 am politischen Übergang scheitern, dann wird das ein schwerer Schlag für die Demokratie. Aber wenn wir Erfolg haben, dann wird es ein sehr großer Erfolg für die Demokratie in der gesamten Region. Demokratie ist ein globaler Wert. Die Frage ist, wie wir diesen Wert mit lokalen Werten adaptieren. Wir haben Probleme: Korruption, Mangel an Rechtstaatlichkeit und politischer Rechenschaftspflicht, Gewalt. Aber wir haben keine Alternative zu Demokratie.
Stichwort Taliban: Wie bewerten Sie die Entwicklungen im Friedensprozess?Unser Präsident hat sehr viel über diesen Friedensprozess gesprochen, aber wir haben bisher kein Resultat gesehen. Kein einziges. Es gibt mehr Anschläge, mehr Tote, mehr Attentate. Ich denke, es ist vielleicht an der Zeit für unsere Regierung und auch die internationale Gemeinschaft, ihre Strategie zu überdenken. Vielleicht brauchen wir mehr Druck auf die Nachbarländer, um sicher zu gehen, dass diese auch ehrlich diesen Prozess unterstützen. Wir wissen, dass die Probleme, die wir haben, von außen kommen. Es gibt interne Probleme, das ist klar, aber die wirken sich nicht derart aus, dass die Sicherheit des gesamten Staates gefährdet ist.
Druck auf Pakistan?
(lacht, Anm.) Druck, aber auch regionaler Dialog. Eine regionale Lösung, in der Indien miteingebunden ist. Oder auch China. Afghanistan war immer Austragungsort pakistanisch-indischer Rivalitäten. Ebenso zwischen dem Iran und den USA. Wir brauchen eine regionalen Lösung, in die diese Staaten miteinbezogen werden. Solange die Dinge zwischen Indien und Pakistan nicht gelöst sind, und solange wir unsere historischen Probleme mit Pakistan nicht lösen, wird es keinen Frieden geben.
Was ist Ihre Prognose für die Wahl?
Dafür ist es zu früh.
Sehen Sie das Risiko, dass Afghanistan bei einem Sieg von Karzais Bruder Qayum zu einer Art Erb-Demokrarchie wird?
Ich hoffe nicht, dass es soweit kommt. Und ich hoffe, dass Präsident Karzai Respekt vor diesem Prozess zeigt und ihn nicht nutzt, um jemandem aus seiner Familie zur Macht zu verhelfen.
Die Anschläge und Angriffe auf Vertreter der Wahlbehörde der vergangenen Wochen geben eine Vorahnung darauf, was den afghanischen Sicherheitskräften bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr bevorsteht. Die Liste der Interessenten für das höchste Amt im Staat bietet derweil einen teils schauerlichen Streifzug durch die Vergangenheit Afghanistans. Und die Beteiligung an der Wählerregistrierung lässt wenig Begeisterung erahnen.
Kommenden April wird in Afghanistan ein neuer Präsident gewählt. Der amtierende, Hamid Karzai, darf nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten. Als einer der Favoriten wird sein Bruder Qayum gehandelt.
Und sonst: Qutbuddin Helal war schwer bemüht, sich als unabhängig zu präsentieren, nachdem er seine Papiere eingereicht hatte – er gilt als enger Vertrauter von Gulbuddin Hekmatyar, dessen Organisation zum islamistischen Untergrund zählt, in terroristische Aktivitäten verwickelt ist und auch für Selbstmordanschläge verantwortlich zeichnet. Und auch so klingende Namen wie Ismail Khan (der Warlord aus Herat und Ex-Minister kandidiert für das Amt des Vizepräsidenten) oder Raschid Dostum (Warlord und verantwortlich für zahllose Kriegsverbrechen) stehen auf der Liste der Bewerber.
„Welche Wahlen?“, sagt daher ein junger Afghane in Kabul. „Ich habe keine Wahl, da ist keiner, dem ich meine Stimme geben würde.“ Wie er denken viele. Zwar gibt es liberale Alternativen (wie Ex-Außenminister Abdullah Abdullah), aber Chancen werden ihnen kaum eingeräumt. Das, während sich vor allem in ländlichen Gebieten, aus denen sich die NATO-Schutztruppe ISAF zurückzieht, die Sicherheitslage dramatisch verschlechtert. Geiselnahmen nehmen massiv zu und selbst Afghanen meiden gewisse Regionen. Es stellt sich die Frage, wie in solchen Gebieten Wahlen abgehalten werden sollen.
Derweil aber wird vor allem gestritten. 27 Kandidaten hatten ihre Bewerbung zunächst erfolgreich eingereicht. Dann strich die Wahlkommission aber 16 Kandidaten wegen Formfehlern. Eine letztgültige Liste mit Bewerbern sollte vergangenen Samstag veröffentlicht werden. Wurde sie aber nicht.
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