Die Mitte wählt rechts – das zwingt Merkel zu Korrekturen

Selbstsicher auf Kurs: Die AfD sieht sich durch ihren Erfolg in Berlin bestärkt
AfD-Wähler wollen etablierte Parteien abstrafen. Merkel setzt deshalb auf Gefühle statt Fakten.

"Die Mitte" steht hinter ihr auf der Plakatwand, als sie am Montag vor die Kameras tritt. Es ist ein symbolkräftiges Bild: Angela Merkel, bisher immer die Alternativlose, hat den Rückhalt verloren – die Mitte der Gesellschaft, die Kernwählerschaft der CDU, hat sich Alternativen gesucht. In Berlin, wo die CDU am Sonntag desaströse 18 Prozent eingefahren hat, machte sie ihr Kreuz bei den Grünen und der Linkspartei – und bei der AfD: Die Rechtspopulisten kamen in der liberal geprägten Hauptstadt auf 14 Prozent.

AfD reüssiert bei allen

Wie das passieren konnte? Die Antwort darauf weiß Merkel selbst. "Angst und Sorge über die Zukunft" seien die Triebfedern, sagt sie, und dazu komme, dass die Politik sich "nicht genug erklärt hat". Das sieht man auch in den Wählerbefragungen. Nur ein Viertel der Wähler machten ihr Kreuz aus Überzeugung bei der AfD, knapp 70 Prozent wählten sie aus Enttäuschung über die anderen Parteien. Und diese schlägt sich nicht nur bei jenen, die sich abgehängt fühlen könnten, nieder: Zwar reüssierte die AfD vor allem bei Arbeitern und Arbeitslosen – und da wiederum hauptsächlich bei Männern ab 45 –, sie mobilisierte aber auch besser Ausgebildete und jene, denen es wirtschaftlich gut geht, auch im reichen Berliner Westen konnte sie punkten.

Die Mitte wählt rechts – das zwingt Merkel zu Korrekturen
Sie alle eint lediglich das fehlende Gefühl von Sicherheit – und da kommt wiederum die Flüchtlingsfrage ins Spiel. In den vergangenen Jahren habe die Politik – und auch sie selbst – "weiß Gott nicht alles richtig gemacht", sagt Merkel am Montag; sie ist um einiges selbstkritischer als noch vor zwei Wochen, als die CDU in Mecklenburg-Vorpommern die erste große Schlappe hinnehmen musste. Sie geht sogar auf Distanz zu ihrem eigenen Mantra: Das "Wir schaffen das" sei zu einer Leerformel verkommen, in die viel hineingeheimnist würde, sagt Merkel – "ich mag den Satz kaum mehr wiederholen."

Fakten fruchten nicht

Solche Sätze wären vor einiger Zeit noch undenkbar gewesen. Dass Merkel sich nun so reuig gibt, mag am wachsenden innerparteilichen Druck liegen – oder auch daran, dass man in der CDU erkannt hat, dass mit der AfD neue Zeiten anbrechen: Obwohl sie faktisch kaum ernsthafte Lösungen anbietet, haben die Menschen das Gefühl, sie könne etwas ändern – 79 Prozent begründen ihre Wahl damit, dass die Rechtspopulisten ja Lösungsvorschläge parat hätten. Ein Paradoxon? Nicht unbedingt. Die Politik sei in "postfaktische Zeiten" angekommen, sagt auch Merkel selbst – da zählen weniger echte Erfolge, wie etwa die massiven Drosselung der Flüchtlingszahlen, sondern Gefühlslagen. Und die laute im Moment: "Ich treibe unser Land in die Überfremdung", sagt Merkel.

Dem begegnet Merkel nun selbst mit Gefühlen. "Wenn ich könnte, würde ich die Zeit zurückdrehen", sagt sie beinahe demütig. Und: "Ich kämpfe dafür, dass sich das nicht wiederholt." Das ist eine kleine Kehrtwende, wenn auch nicht inhaltlich, aber emotional. Zwar werde sie damit "niemanden überzeugen, der ,Merkel weg’ schreit", sagt sie, aber allen anderen reicht sie so die Hand: der CSU, deren Forderung nach einer Obergrenze" sie nicht mehr kategorisch ausschließt, und auch den abgesprungenen CDU-Anhängern, die gern mehr Selbstkritik und weniger koalitionäres Hickhack sähen.

Ihren innerparteilichen Kritikern nimmt sie Wind aus den Segeln, indem sie die Frage der Kanzlerkandidatur noch immer offen lässt. Ob sie diesen Schritt wagt, wird wohl stark vom weiteren Schicksal ihres SPD-Konterparts Sigmar Gabriel abhängen – und maßgeblich davon, ob sie die verprellte Mitte mit diesen Korrekturen wieder ins Boot holen kann.

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