Die alte Mitte fehlt

Evelyn Peternel

Evelyn Peternel

Die AfD springt auch in jene Lücke, die CDU und SPD in der Mitte lassen.

von Mag. Evelyn Peternel

über den Niedergang von CDU und SPD

Berlin ist anders, das war es schon immer. Das ist mit ein Grund, warum die AfD in der deutschen Hauptstadt nur 14 Prozent erreicht hat, "nur", wohlgemerkt, denn schließlich war ein solches Wahlergebnis vor fünf Jahren noch undenkbar.

Ebenso undenkbar war es aber auch, dass im konservativen Baden-Württemberg ein Grüner Ministerpräsident wird, oder dass in Thüringen ein Linker regiert. Beides waren stets Stammländer der CDU, verloren an ehemalige "Randerscheinungen" im Parteienspektrum, die den Großparteien mehr und mehr plötzlich den Rang abzulaufen drohen.

Nirgendwo zeigt sich das besser als in Berlin. AfD, Linke und Grüne liegen hier fast gleichauf, die Großparteien sind für alle drei in Reichweite. Das ist ein Prozess, der aus einer fehlenden Mitte heraus passiert: Die SPD hat seit den Hartz-IV-Reformen mit Blessuren zu kämpfen, mit fehlender Glaubwürdigkeit, damit, dass die CDU damals mit Angela Merkel genau in diese Lücke sprang: Sie verkörperte das Versprechen der Stabilität, der Unveränderlichkeit, der leisen Anpassung an den Wählerwillen. Mehr als 41 Prozent bei der Bundestagswahl 2013 waren der Lohn dafür; das Opfer war die FDP, die genau diese Versprechen während der Finanzkrise nicht mehr halten konnte.

Die Vetrauensperson ist weg

Seit dem vergangenen Sommer hat sich das schwarze Versprechen der Beständigkeit jedoch ins Gegenteil verkehrt. Angela Merkel, die immer die verbindende Mitte verkörperte, stand plötzlich allein da, langsam und schleichend isoliert, unter Beschuss von links, weil die SPD sich auf ihre Kosten zu profilieren versuchte, unter Beschuss von rechts, weil die CSU um ihr Ansehen fürchtete. Dass beide Parteien gemeinsam mit Merkels CDU eine Koalition stellen, die gerade in einer Krise enger denn je zusammenstehen hätte sollen - geschenkt. Das ist Politik. Traurig nur, dass beide Parteien nach wie vor nicht registriert haben, wie sehr sie sich damit aber auch ins eigene Fleisch schneiden.

Auch die AfD ist eine "Randerscheinung", die in genau jene Lücke springt, die CDU und SPD nicht rechts lassen, sondern in der Mitte. Wähler jedweder Orientierung wählen sie, ehemalige Grüne ebenso wie Linke oder Ex-NPDler, und sie alle eint eines: Sie haben kein Vertrauen mehr, auch nicht mehr in Angela Merkel - sie ist nicht mehr der Fels in der Brandung, sie ist nicht mehr die Unantastbare, seit sie offen von ihren eigenen Leuten gemaßregelt wird. Dass sie langsam ihr "Wir schaffen das" abschmelzen lässt, macht das Dilemma nur noch größer - jene, die sie deswegen wählen würden, werden enttäuscht; die, die sie immer schon kritisieren, werden bestätigt - und das gibt allen Auftrieb, die gerne Misstrauen säen.

Wie man dieses Vertrauen komplett verspielt, kann man sich in den USA gerade als Lehrstück ansehen. Wird Donald Trump Präsident, sitzt plötzlich das genaue Gegenteil von Angela Merkel im Weißen Haus - der mächtigste Mann der Welt ist dann auch der, dem man am wenigsten vertrauen kann. Dass Merkel davon profitieren könnte, wie manch politischer Beobachter nun hofft, dürfte ein frommer Wunsch bleiben.

Solange man jenen, die auf der Suche nach einer neuen Mitte sind, keine vertrauenswürdigen Antworten liefern kann, wird sich diese Mitte nach wie vor grün, dunkelrot oder blau einfärben - auch im Bundestag.

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