Mindestens 47.000 gefallene russische Soldaten

Präsident Putin stattet verwundeten russischen Soldaten im Vishnevsky Militärspital einen Besuch ab.
Die hohen Zahlen an Opfern und Verletzten im Krieg binden in Russland medizinische Kapazitäten. Die Hälfte aller Toten hätte bei rechtzeitiger Versorgung gerettet werden können.

Mindestens 47.000 russische Soldaten sind nach Berechnungen unabhängiger russischer Medien bisher in Moskaus Angriffskrieg gegen die Ukraine getötet worden.

Das habe eine Datenanalyse ergeben, die sich auf die Zahl der eröffneten Erbfälle und die Statistik der Übersterblichkeit im vergangenen Jahr stützt, berichtete das an der Auswertung beteiligte Internetportal Meduza am Montag.

In die Verlustzahl nicht eingeflossen sind dabei Vermisste und Schwerverletzte sowie Kämpfer, die in den Reihen der Separatistenmilizen der "Donezker Volksrepublik" und der "Luhansker Volksrepublik" gefallen sind - und keinen russischen Pass besessen haben.

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In diesem Artikel lesen Sie:

  • Hohe Opferzahlen belasten Spitäler
  • Hälfte aller Toten hätte gerettet werden können
  • Gegenoffensive: "Wir kommen vorwärts"
  • Bombenangriff auf Orichiw
  • Polen nimmt russischen Spion fest
  • Ukrainischer Filmemacher an Front verletzt

Auf Grundlage der in Russland vermehrt eröffneten Nachlassverfahren für Männer lässt sich laut der Datenanalyse schätzen, dass bis Ende 2022 etwa 22.000 Soldaten gefallen sind und von Jahresbeginn 2023 bis Ende Mai noch einmal weitere 25.000 Soldaten. Die von der Statistikbehörde Rosstat veröffentlichte Zahl der männlichen Übersterblichkeit bestätigt diese These zumindest für 2022. Demnach sind bis zum Ende vergangenen Jahres sogar 24.000 bis 25.000 Russen gefallen. Für 2023 gibt es Zahlen erst im Juni 2024. Russland hatte den Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 begonnen.

Offiziell gibt es keine Statistik zur Anzahl der russischen Gefallenen. Zuletzt hatte das Verteidigungsministerium in Moskau Ende September 2022 den Tod von 5.937 eigenen Soldaten eingeräumt. Die Angaben galten schon damals als stark untertrieben.
 

Ukraine spricht von 230.000 toten Russen

Auf der Gegenseite werden die Angaben des ukrainischen Militärs, das derzeit von mehr als 230.000 russischen Gefallenen spricht, als Übertreibung betrachtet. Auch für die Angaben westlicher Geheimdienste, die von mehr als 100.000 russischen Kriegstoten sprechen, gibt es keine Belege.

Die von Meduza und anderen Medien nun veröffentlichten Zahlen stützen sich auf Statistiken und auch auf den Vergleich mit veröffentlichten Todesanzeigen. Die genannte Zahl von 47.000 Toten entspricht mehr als dem Dreifachen der sowjetischen Gefallenen im Afghanistan-Krieg (1979 - 1989) und dem Neunfachen der Kriegstoten auf russischer Seite im ersten Tschetschenien-Krieg (1994 - 1996).
 

Hohe Opferzahlen belasten Spitäler

Die hohe Zahl an Verletzten im Angriffskrieg gegen die Ukraine beeinträchtigt nach Einschätzung britischer Geheimdienste die medizinische Versorgung in Russland. "Der Zustrom militärischer Opfer hat wahrscheinlich die normale Bereitstellung einiger russischer zivil-medizinischer Dienste beeinträchtigt, insbesondere in den Grenzregionen zur Ukraine", teilte das Verteidigungsministerium in London am Montag mit.

"Wahrscheinlich sind spezialisierte Militärkrankenhäuser für Verletzungen von Offizieren reserviert." Angesichts von 400 Opfern im Durchschnitt pro Tag seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 herrsche eine Versorgungskrise bei der Betreuung verletzter russischer Soldaten.

Hälfte aller Toten hätte gerettet werden können

Das britische Ministerium zitierte den Leiter der Kampfmedizin-Ausbildung des Rüstungsunternehmens Kalaschnikow mit den Worten, bis zu 50 Prozent der Getöteten hätten bei angemessener Erster Hilfe gerettet werden können.

Dass Verletzte nur langsam evakuiert und Verbandsmaterial unsachgemäß verwendet werde, sei "eine der Hauptursachen für vermeidbare Todesfälle und Amputationen", hieß es unter Berufung auf Medienberichte.

Gegenoffensive: "Wir kommen vorwärts"

Die ukrainische Armee meldete weitere Fortschritte bei der Gegenoffensive gegen die russischen Invasionstruppen. Nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskij kommen die ukrainischen Streitkräfte "vorwärts".

 

Seit Beginn der Gegenoffensive im vergangenen Monat hätten die ukrainischen Streitkräfte bisher 169 Quadratkilometer an der Südfront und 24 Quadratkilometer um die östliche Stadt Bachmut zurückerobert, teilte das Militär mit.

Die ukrainische Offensive kam zuletzt angesichts der massiven Verteidigungsstellungen der russischen Armee nur langsam voran.

    Nach Angaben von Präsident Selenskij haben die ukrainischen Streitkräfte bei den Kämpfen im Südosten ihres Landes die Initiative ergriffen. "Wir kommen vorwärts, wir stecken nicht fest", sagte Selenskij dem US-TV-Sender ABC.

    In zwei Gebieten im Südosten tobten schwere Kämpfe, teilte die stellvertretende ukrainische Verteidigungsministerin Hanna Maljar auf Telegram mit. "Wir sind dabei, unsere Gewinne in diesen Gebieten zu konsolidieren", schrieb sie.

    Bombenangriff

    Ein Wohnviertel in Orichiw im Süden der Ukraine sei während der Ausgabe von humanitärer Hilfe von einer gelenkten Fliegerbombe getroffen worden, teilte der Chef der Militärverwaltung der Region Saporischschja, Jurij Malaschko, am Montag auf seinem Telegram-Kanal mit.

    Drei Frauen im Alter zwischen 43 und 47 und ein 47-jähriger Mann seien auf der Stelle getötet worden. Insgesamt hätten russische Truppen 36 Angriffe auf 10 Ortschaften in der Region durchgeführt. Beschossen worden seien die Siedlungen zumeist mit Raketen und Artillerie.

    Polen nimmt russischen Spion fest

    Polens Geheimdienst hat einen weiteren mutmaßlichen russischen Agenten festgenommen. Der Verdächtige habe militärische Objekte und Häfen ausgespäht, schrieb Innenminister Mariusz Kaminski am Montag auf Twitter.

    Dies sei die 15. Festnahme im Rahmen der Ermittlungen gegen einen russischen Spionagering in Polen.

    Nach Angaben der zuständigen Staatsanwaltschaft handelt es sich bei dem Verdächtigen um einen ukrainischen Staatsbürger, der seit 2019 in Polen lebt. Für seine Tätigkeit wurde er laut Kaminski regelmäßig von den Russen entlohnt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen ihn wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Tätigkeit für einen fremden Geheimdienst zum Schaden Polens.

    Bereits Ende Juni hatte Polens Geheimdienst einen russischen Eishockey-Profi festgenommen, der ebenfalls Mitglied des Spionagenetzwerks gewesen sein soll. Die Gruppe soll unter anderem das polnische Eisenbahnnetz ausgespäht haben. Das EU- und Nato-Land Polen ist das wichtigste Drehkreuz für die Lieferung westlicher Militärhilfe für die Ukraine, die sich seit gut 16 Monaten gegen eine russische Invasion verteidigt.

    Ukrainischer Filmemacher an Front verletzt

    Der ukrainische Filmemacher Oleh Senzow ist nach eigenen Angaben an der Front verletzt worden. „Das war gestern. Heute geht es schon besser“, kommentierte Senzow am Sonntagabend bei Facebook ein von ihm eingestelltes Video, dass ihn verletzt auf dem Schlachtfeld zeigt. Am Boden liegend hatte er dort von einer Splitterverletzung berichtet.

    Er sei mit anderen verwundeten Kameraden ins Krankenhaus eingeliefert worden, teilte er mit.

    Der auf der Krim geborene Ukrainer wurde 2014, nach der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel, dort verhaftet. Ein Jahr später wurde er in Russland zu 20 Jahren Haft wegen der angeblichen Planung von Terroranschlägen verurteilt.

    Daneben wurde er der Mitgliedschaft in der ultranationalen ukrainischen Bewegung „Rechter Sektor“ beschuldigt.

    Senzow wies alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück und berichtete von Folter, mit denen die Behörden versuchten, ein Geständnis zu erzwingen. International galt er als politischer Häftling. 2019 kam er im Rahmen eines Gefangenenaustausches frei.

    Nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine meldete sich Senzow in Kiew als Freiwilliger. Zuletzt kämpfte er im Gebiet Saporischschja und wurde dort zum Unterleutnant befördert.

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