32 Panzer, 16 Haubitzen und eine Menge Lkw
Theorie und Praxis sind zwei sehr verschiedene Dinge in der Ostukraine. Und derart sieht das Waffenstillstandsabkommen in der Krisenregion auch aus: Theoretisch existiert eine ukrainisch-russische Kontaktgruppe, die den Waffenstillstand und den Abzug schwerer Waffen von der Frontlinie überwachen soll. In der von Separatisten gehaltenen Ortschaft Oleniwka südwestlich von Donezk etwa existiert ein Büro der Gruppe. Bei ihrem Besuch in Oleniwka beobachteten OSZE-Beobachter dann einen Kampfpanzer und Artillerie. Im fünf Kilometer entfernten Stepnoe, das von ukrainischen Kräften gehalten wird, gab der Dorfchef gegenüber den OSZE-Beobachtern an, nichts von dem Verbindungsbüro zu wissen.
Und so wird weiter auch mit schwerer Artillerie praktisch entlang der gesamten Frontlinie geschossen. Fazit: der Waffenstillstand hält nicht und derzeit stehen die Zeichen eher auf Eskalation denn auf Deeskalation.
In dieses Bild passt auch eine Wortmeldung aus Kiew vom Freitag. Ein Sprecher der Armee gab da bekannt, eine Kolonne aus 32 Panzern, 16 Haubitzen und zahlreichen Lkw sei von Russland aus in die von Separatisten gehaltenen Gebiete in der Ostukraine eingefahren. Auch ein Konvoi mit drei mobilen Radarstationen sei unterwegs. Andere Quellen sprachen von 85 Panzern und einigen Tausend Mann, die die Grenze überschritten hätten.
Bereits in den vergangenen Tagen hatte die NATO eine massive Sammlung russischer Truppen an der Grenze kritisiert. Das Verteidigungsministerium in Moskau nennt die Meldungen aus Kiew jetzt eine "Provokation" und dementiert. Ebenso dementiert Kiew den Vorwurf der Separatisten vom Donnerstag, eine neue Offensive gestartet zu haben.
Dass die Separatisten von Russland aber schweres Gerät erhielten, ist praktisch belegt. Laut Reuters wurden im Separatistengebiet zwei zerstörte T-72BM-Panzer gefunden, die in dieser Version nur von der russischen Armee benutzt werden und nie exportiert wurden.
Der Praxis beugen sich indes die ukrainischen Stellen: Entlang der Frontlinie sollen ab sofort Passkontrollen eingeführt, also eine "De-facto-Grenze" geschaffen werden.
Die Spannungen zwischen der Ukraine und Russland verschärfen sich nach einer Phase relativer Ruhe wieder: Die Armeeführung in Kiew warf der Regierung in Moskau am Freitag vor, mit schweren Waffen und Soldaten in den umkämpften Osten des Landes vorgedrungen zu sein. Es handele sich um 32 Panzer, 16 Haubitzen, sowie 30 Lastwagen mit Munition und Kämpfern, erklärte der ukrainische Militärsprecher Andrej Lyssenko. Die Fahrzeuge hätten am Donnerstag die Grenze zu der von prorussischen Separatisten kontrollierten Region Lugansk passiert. „Die Verlagerung von Militärausrüstung und russischen Söldnern an die Frontlinien geht weiter“, sagte der Sprecher. Die Kolonne bewege sich auf die Stadt Krasny Lutsch (siehe Karte) zu. An dem von den Rebellen kontrollierten Grenzübergang Iswarine in derselben Region sei zudem eine weitere Kolonne mit Lastwagen und drei mobilen Radarstationen eingedrungen.
Russland hat die neuen Vorwürfe zu Truppenbewegungen als "Provokation" zurückgewiesen. Solche Behauptungen würden in Kiew auf Grundlage irgendwelcher Gerüchte im Internet ohne jeden Beweis aufgestellt, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau. Er warnte davor, den ohnehin aufgeheizten Konflikt im "Südosten" der Ukraine weiter durch "provozierende Mitteilungen" zu befeuern. Russland wirft auch der NATO vor, die Lage durch unbewiesene Behauptungen zu verschärfen.
Ein Berater von Wladimir Putin stellte zudem am Freitag klar, am Minsker Waffenstillstandsabkommen festzuhalten. Er sei für weitere Gespräche unter Beteiligung von Regierungskräften und Separatisten, sagte Juri Uschakow. In der weißrussischen Hauptstadt hatten sich Vertreter der ukrainischen Regierung und der Rebellen vor zwei Monaten auf eine Waffenruhe verständigt. Trotzdem wird weiterhin gekämpft, die Zahl der Toten in dem Konflikt ist inzwischen auf über 4000 gestiegen (mehr dazu siehe hier).
Bei Kämpfen um den Flughafen von Donezk sind am Freitag 15 Zivilisten verletzt worden. Es blieb unklar, ob unter den Opfern auch Separatistenkämpfer (Bild) waren. Der Flughafen ist seit Monaten heftig umkämpft zwischen den prorussischen Rebellen und den Regierungstruppen, die ihn trotz fortlaufender Angriffe weiter kontrollieren. Laut der ukrainischen Armee wurden in der benachbarten Rebellenregion Lugansk zudem sieben Fallschirmjäger verletzt, als ihr Fahrzeug nahe der Ortschaft Sokolnyki auf eine Mine fuhr. Demnach griffen die Rebellen wiederholt Stellungen der Armee mit Mörsern und Raketenwerfern an.
Bilder aus Donezk:
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