Separatisten zementieren Macht ein

Petro Poroschenko will Angebote an Separatisten zurückziehen
"Gewählte" Präsidenten übernehmen Lugansk und Donezk – Kiew tobt.

Wahlen in der Ukraine, Wahlen in der Ostukraine. Am Dienstag legten die Separatistenführer der selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk, Alexander Sachartschenko und Igor Plotnizki, einen Amtseid ab. In Kiew drohte Präsident Petro Poroschenko damit, den versprochenen zeitlich begrenzten Autonomiestatus für die beiden Gebiete aufzukündigen. Außenminister Pawel Klimkin sagte in einem Interview mit der Bild, man werde verlorene Gebiete "zurückholen".

Welche Auswirkungen haben die Wahlen der Separatisten auf den Konflikt?

Die Separatisten stärken damit ihre Kontrolle über das Gebiet und legitimieren sich gegenüber jenen, die die Wahl anerkannt haben: Russland. Aus Sicht Kiews wird nun diskutiert werden, ob das Waffenstillstandsabkommen von Minsk nach wie vor Gültigkeit besitzt. Darin war ja von der Abhaltung von Wahlen die Rede – nicht aber im Detail, wie diese Wahlen abgehalten werden sollen. Das Gesetz über eine Teilautonomie der betroffenen Gebiete, das auch eine Amnestie für Separatisten enthält, fällt dabei wenig ins Gewicht, weil es nie umsetzbar erschien.

Ist der Krieg zu Ende?

Gekämpft wird nach wie vor – etwa um den Flughafen von Donezk. Vor allem aber haben auch die Separatisten wiederholt klar gestellt, dass sie Anspruch auf weitere Gebiete erheben und ukrainische Truppen als Besatzungsmacht betrachten. Entlang der Frontlinien haben beide Seiten zugleich starke Befestigungen errichtet. Ein Ende der Kämpfe scheint aber nicht in Sicht.

Welche Vorteile zieht Moskau aus der Situation?

Moskau bietet die Formalisierung der Sezession der Ostukraine bis auf Weiteres die Möglichkeit, auf die Geschehnisse in der Ukraine weitreichend Einfluss zu nehmen. Die Frage ist aber, wie Kiew jetzt reagieren wird. Das Ergebnis der Parlamentswahl in der Ukraine jedenfalls war eine klare Absage an das nationalistische Lager und lässt einen konstruktiven Zugang erahnen.

Ist eine militärische Lösung möglich?

Brigadier Walter Feichtinger vom österreichischen Bundesheer sieht beide Lager derzeit nicht in der Lage, große militärische Vorstöße durchzuführen. Schon die gescheiterte Offensive der ukrainischen Armee im Sommer habe wenig tatsächliche Gebietsgewinne, aber vor allem hohe Verluste gebracht. Zudem habe die Offensive gezeigt, dass die Separatisten im Falle eines breiten Angriffs der Armee nicht alleine gelassen würden – das sei klar erkennbar gewesen. Sei es, wie es Russland dargestellt hatte, durch beurlaubte Soldaten; oder tatsächlich reguläre Einheiten, wie Kiew sagt.

Separatisten zementieren Macht ein

Kiew ist entschlossen, die von Separatisten gehaltenen Gebiete in der Ostukraine wieder in den Staatsverband einzugliedern. "Tatsächlich sind einige Regionen der Ostukraine unter Kontrolle von pro-russischen Terroristen und russischen Truppen. Das sind aber ukrainische Regionen und wir werden sie uns zurückholen", sagte Außenminister Pavlo Klimkin der deutschen Bild-Zeitung.

Klimkin warnte nach den umstrittenen Wahlen in den selbstproklamierten Volksrepubliken Donezk und Luhansk (russisch: Lugansk) vor einem Zerfall der Ukraine. Kiew werde die Ostukraine wieder voll in seinen Machtbereich aufnehmen.

Poroschenko droht Separatisten

Am Montagabend hatte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko außerdem den Separatisten in ihren Hochburgen mit der Aufkündigung des Friedensprozesses gedroht. Er erwägt insbesondere, ein Gesetz zurückzunehmen, das den Separatisten für drei Jahre eine Teilautonomie und Amnestie gewährt. Das Gesetz habe darauf gezielt, Unterstützung für den Frieden zu mobilisieren, sagte er. Doch hätten die Wahlen am Sonntag "den gesamten Friedensprozess in Gefahr gebracht".

Außenminister Klimkin forderte den Westen zu einer Verschärfung der Sanktionen gegen Russland auf. "Wenn die westliche Welt es will, dass Russland auf ihre Meinung Wert legt und die gemeinüblichen internationalen Regeln einhält, wäre ein logischer weiterer Schritt, mehr Druck auf den Kreml mit allen möglichen Mitteln auszuüben. Dazu gehören auch Sanktionsverschärfungen." Der in Minsk vereinbarte Friedensprozess sei durch die Abstimmungen in der Ostukraine vom Sonntag ins Wanken geraten, erklärte der ukrainische Politiker: "Ich weiß nicht, ob wir hier von einem vollen Scheitern sprechen können. Aber die Anerkennung der "Wahlen" von Russland erschwert die weitere Erfüllung der Minsker Vereinbarungen erheblich."

Westliche Kritik an Wahlen in der Ostukraine

Nach der Europäischen Union verurteilten auch die USA die in der Ostukraine abgehaltenen Wahlen vom Sonntag als illegal und wollen sie ebenfalls nicht anerkennen. Die Abstimmungen seien "Scheinwahlen" und widersprächen der ukrainischen Verfassung und sämtlichen Wahlnormen, erklärte der Nationale Sicherheitsrat. Ähnlich kritisch äußerte sich das US-Außenministerium. Sprecherin Jen Psaki rief zudem Russland dazu auf, die Wahlen nicht zu respektieren und warnte Moskau vor einer weiteren Isolierung. Noch deutlicher wurde eine US-Präsidialamtssprecherin: Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland würden erneut verschärft, sollte die Regierung in Moskau weiterhin ihre Zusagen aus dem Minsker Friedensplan missachten.

Russland hatte erklärt, das Ergebnis der Wahlen anzuerkennen. Die Regierung in Kiew müsse ihre militärische "Anti-Terror-Aktion" für beendet erklären und mit den Anführern der Volksrepubliken einen gleichberechtigten Dialog beginnen, sagte Vize-Außenminister Grigori Karassin in Moskau. Die Wahlen hätten den Vertretern der Unruheregionen das Mandat für breite Verhandlungen mit der pro-westlichen Zentralregierung gegeben. Karassin warnte den Westen vor neuen Sanktionen gegen Russland. Strafmaßnahmen seien im Ukraine-Konflikt "absolut kontraproduktiv", sagte er der Agentur Tass zufolge.

Auch UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon die umstrittenen Wahlen in den Rebellenhochburgen im Osten der Ukraine kritisiert. "Die sogenannten Wahlen im Osten des Landes am vergangenen Sonntag sind eine unglückliche und kontraproduktive Entwicklung", sagte Ban am Dienstag bei einer Rede am Sitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Wien.

Merkel droht Putin

Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel drohte Russland mit einer neuen EU-Sanktionsrunde. "Wenn sich die Lage verschärft, kann es auch erforderlich werden, über eine erneute Verschärfung der Sanktionen nachzudenken", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte Moskau davor, die Separatisten weiter zu ermuntern. "Ich hoffe, dass Russland jenseits der öffentlichen Erklärungen nichts unternimmt, um das Wahlergebnis zum Anlass zu nehmen, die Separatisten in der Ostukraine zu ermuntern, ihren Weg in die Unabhängigkeit tatsächlich fortzusetzen", so Steinmeier am Rande eines Besuchs in Indonesien. Die russische Haltung sei eine Belastung für den Entspannungsprozess in der Ostukraine.

Die neue EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini äußerte allerdings Zweifel an der Wirksamkeit von Strafmaßnahmen. Diese wirkten sich zwar spürbar auf die russische Wirtschaft aus, sagte sie der Süddeutschen Zeitung vom Dienstag. "Aber die offene Frage ist immer noch, ob Moskau seine Politik deshalb ändern wird." Festhalten will Mogherini indes an den Strafmaßnahmen trotzdem. Die EU-Kommission werde in den kommenden Tagen über weitere Maßnahmen beraten, sagte sie der Zeitung. Zwar wäre es "großartig, Sanktionen abzubauen", allerdings würde dies bedeuten, dass die Krise in der Ukraine beigelegt sei. "Und das ist sie nicht."

Bei den Kämpfen zwischen ukrainischen Regierungstruppen und den Separatisten starben seit April mehr als 4.000 Menschen. Trotz einer Waffenruhe kommt es fast täglich zu neuem Blutvergießen.

NATO-Oberbefehlshaber bittet um mehr Truppen

Angesichts der Lage hat der NATO-Oberbefehlshaber in Europa, Philip Breedlove, das US-Verteidigungsministerium um mehr Truppen und Ausrüstung gebeten. Wegen des zunehmenden Drucks in Osteuropa und der im Baltikum, in Polen und in Rumänien getroffenen Sicherheitsmaßnahmen seien zusätzliche rotierende Truppen nötig, sagte Breedlove am Montag laut einem Bericht des Magazins Defense News. Er warnte, dass die Allianz sich in der Ukraine-Krise einem "strategischen Wendepunkt" mit Moskau nähere. Die sieben russischen Brigaden hätten die Grenze zu ihrem westlich gelegenen Nachbarland teils nahezu beseitigt.

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