SPÖ-Heide: „Ab 2035 keine Verbrenner mehr am Markt“
Hannes Heide gehört seit 2019 dem Europaparlament an. Bei der EU-Wahl am 9. Juni ist er neuerlich Spitzenkandidat der oberösterreichischen Sozialdemokraten, auf der Bundesliste ist er auf dem fünften Listenplatz. Der 57-Jährige waren von 2007 bis 2019 Bürgermeister von Bad Ischl, sein Nachfolger ist seine Lebensgefährtin Ines Schiller.
KURIER: Sie gehörten dem EU-Parlament fünf Jahre lang an. Wo haben Sie wesentlich mitgewirkt? Was bei rund 700 Abgeordneten zweifellos nicht einfach ist.
Hannes Heide: Da gibt es einiges. Ich war sogar der Verfasser des Initiativberichtes über die Folgen der Schließungen von Schulen, Kindergärten und Kultureinrichtungen in der Covid-Krise, der auch Empfehlungen enthalten hat. Ich war Fraktionsführer und Verhandler im Sonderprüfungsausschuss über die Spionagesoftware Pegasus, der Empfehlungen an die Kommission und Mitgliedsstaaten abgegeben hat. Ich war im Kulturausschuss zum EU-Kulturbudget und im Regionalentwicklungsausschuss zum EU-Budget. Wir haben dafür gesorgt, dass Erasmus+ (Studentenaustauschprogramm) nicht gekürzt, sondern ausgebaut wird.
Sie waren einer der wesentlichen Initiatoren für die Europäische Kulturhauptstadt Bad Ischl. Was bedeutet das für das Salzkammergut?
Wir hatten von Anfang an zwei wesentliche Ziele. Nicht Neues zu bauen, sondern in Vorhandenes zu investieren und damit zu beleben. Zum Beispiel das Lehar-Theater oder das Gmundner Stadttheater. Der zweite Punkt war, in Köpfe zu investieren. Damit die Menschen in und außerhalb der Region die Wertigkeit des Salzkammerguts erkennen.
Die rechten Fraktionen, die Konservativen und die Wirtschaft wollen das für 2035 beschlossene Ende der Verbrennermotoren bei Pkw kippen. Sie persönlich haben es mitbeschlossen, obwohl es auch Widerstand von sozialdemokratischer Seite gab, zum Beispiel vom Arbö oder von Gewerkschaftern. Wie sehen Sie aktuell die Frage?
Meine Position ist ambivalent. Ich bin überzeugt, dass es gelingen wird, dass ab 2035 keine Verbrenner mehr auf den Markt kommen. Die aktuelle Diskussion zeigt, wie wenig ambitioniert Europa ist. Wenn wir 2022 ein Ziel festlegen und wir sagen bereits 2024, wir erreichen es nicht, dann ist das nicht das Europa, das wir kennen und das Herausforderungen annimmt. Wir sind nicht bereit und fähig, Ziele in 15 Jahren umzusetzen. Man kann Ziele nicht in zwei Jahren relativieren. Fossile Brennstoffe haben ein Ablaufdatum.
Sie haben das Lieferkettengesetz mitbeschlossen, das die Wirtschaft und die Industrie weghaben wollen, weil es in ihren Augen die Wettbewerbssituation verschlechtert, ineffektiv ist, und nur mehr Bürokratie bedeutet.
Wenn wir in Europa wieder Industrien ansiedeln und den Industriestandort aufwerten wollen, dann müssen die Standards gleich sein mit jenen, die wir von importierten Produkten einfordern. Wenn die Industrie sagt, sie ist dazu nicht in der Lage, heißt das, dass wir nicht garantieren können, dass wir Produkte und Rohstoffe ohne Zwangs- und ohne Kinderarbeit herstellen. Es gibt ja den Fall der VW-Autoproduktion in China mit uigurischen Zwangsarbeitern. Wir müssen ökologische und soziale Standards aufrechterhalten. Das Lieferkettengesetz dient zur Stärkung der Produktion und des Arbeitsmarktes in Europa.
Die Chinesen drängen mit günstigen E-Autos auf den europäischen Markt. Die hiesigen Hersteller fordern Schutzmaßnahmen mit der Begründung, dass die Fahrzeuge staatlich subventioniert werden. Ähnlich argumentiert das Sattledter Unternehmen Fronius bei der Herstellung von Wechselrichtern. Ist in diesen Fällen die Einführung von Strafzöllen gerechtfertigt?
Ja. Ich verstehe es sehr gut, wenn die EU-Kommission hier tätig wird. Sie hat das schon angekündigt.
Der Green Deal ist von den Grünen, den Sozialdemokraten und einem Teil der Konservativen mitbeschlossen worden. Die Konservativen haben nun im Wahlkampf einen Schwenk angekündigt, sowohl Spitzenkandidat Manfred Weber als auch Kommissionspräsident Ursula von der Leyen wollen künftig auch mit den immer stärker werdenden rechten Fraktionen zusammenarbeiten. Ist das das Ende des Green Deal?
Es ist heute schon so, dass Christdemokraten Anträgen der rechten ID-Fraktion (Identität und Demokratie, FPÖ, Salvini, AfD etc.) zustimmen. Es gibt dann noch die rechtskonservative Fraktion EKR mit der polnischen PIS, der italienischen Melloni, den Wahren Finnen etc. Der Herr Weber ist damit der Architekt des Rechtsrucks in Europa, indem er diese Zusammenarbeit sucht.
Zum Green Deal. Auch die ÖVP hat die Erkenntnis gewonnen, dass es den Klimawandel gibt, die Maßnahmen dagegen folgen aber nicht. Die Frage, ob der Klimawandel naturgegeben oder menschengemacht ist, ist sekundär. Wenn wir die Möglichkeit haben, darauf zu reagieren, werden wir das machen. Wenn wir es schaffen können, von fossilen Brennstoffen und damit von autokratischen Regimen unabhängig zu werden, ist es wert, das zu tun.
Die sozialdemokratischen Positionen unterscheiden sich hier kaum von denen der Grünen. Warum soll in diesen Fragen jemand den „Schmiedl“ Sozialdemokraten wählen, wo doch die Grünen hier der „Schmied“ sind? Sie sind konsequenter in der Klimapolitik.
Ich sehe hier keine Konsequenz, wenn Ministerin Gewessler gegen das Renaturierungsgesetz stimmt. Ich habe auch ein Problem damit, wenn Minister Rauch beim sozialpartnerschaftlichen EU-Gipfel in La Hulpe mit Schweden gegen soziale Absicherungen stimmt. Die Grünen sind in einer Regierung, die auf europäischer Ebene gegen das Lieferkettengesetz stimmt. Die Sozialdemokratie ist für Maßnahmen, die sozial und fair sind, bei denen nicht die Bürgerinnen und Bürger die Zeche des Klimawandels zu zahlen haben.
Als Mitglied des Landesvorstandes des Pensionistenverbandes werde ich sicher nicht sagen, die Pensionisten sollen nicht mehr mit dem Flugzeug fliegen. Es geht hier um Gerechtigkeit. Es ist heute teurer, mit dem öffentlichen Verkehr zum Flughafen zu kommen, als zu fliegen. Der öffentliche Verkehr muss günstiger werden.
Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist eine Zäsur für Europa. Es wird künftig einen gemeinsamen Raketenabwehrschirm geben, von der Leyen will einen EU-Kommissar für Verteidigung installieren, die Ausgaben für Rüstung werden hochgefahren. Welcher Antworten bedarf es von der EU angesichts dieses Krieges?
Es braucht ein geeintes Auftreten gegen diese Aggression. Die EU hat bereits zwei Mal mit Putins Russland Frieden geschlossen. Das eine Mal nach der Besetzung der Krim, Sanktionen wurden nur halbherzig gesetzt. Das zweite Mal mit der Besetzung von Luhansk und Donezk. Die Konsequenz war, dass das zu immer neuer Aggression geführt hat. Der Krieg Russlands findet nicht nur in der Ukraine statt, sondern auch in Syrien. Ich erinnere an den Einmarsch in Georgien und in Tschetschenien, was eine Flüchtlingsbewegung nach Österreich zur Folge hatte.
Länder in der afrikanischen Sahel-Zone sind unter russischen Einfluss gekommen. Wir haben russische Einflussnahme am Westbalkan, aber auch in der EU, wo politische Morde, Cyberangriffe und Desinformation stattgefunden haben. Russland versucht, politische Gruppierungen an den Rändern zu beeinflussen.
Zum Beispiel die europäische Rechte, die sich hier mit den Linksparteien einig ist.
Die EU muss hier reagieren. Die militärische Sicherheitsstruktur ist die NATO. Österreich soll sich weiter zur Neutralität bekennen. Das darf kein Opportunismus sein, sondern eine aktive Rolle. Ich warne davor, zu glauben, dass die Probleme gelöst wären, würde man Putin territoriale Zugeständnisse machen. Ein nächstes Ziel ist Transnistrien.
Die SPÖ hat in Oberösterreich bei der EU-Wahl 2019 rund 25 Prozent der Stimmen bekommen. Wie viele werden es diesmal werden?
Ich mache keine Prognosen. Die Wahlbeteiligung bei Europawahlen ist eine niedrige. Dadurch zählt jede abgegebene Stimme doppelt. Das Ergebnis hängt stark davon ab, wer die Menschen zur Urne bringt. Es ist eine Schicksalswahl, in welche Richtung sich Europa bewegt.
Laut Umfragen schaut es nach einem Rechtsruck aus.
Der Rechtsruck in Europa findet bereits statt. In Schweden, Finnland, Italien, in Portugal.
Warum?
Weil die Europäische Volkspartei bereit ist, mit diesen Kräften zusammenzuarbeiten.
Man muss die Rechten also kategorisch ausschließen?
Von der Regierungsbildung ja. Man kann nicht den Rechtsruck beklagen und gleichzeitig mit diesen Parteien Koalitionen eingehen.
Ihrer Meinung nach sind die Konservativen am Stärkerwerden der Rechten schuld?
Sie sind der Katalysator, selbstverständlich. Es gibt von uns die klare Aussage, keine Zusammenarbeit weder mit der EKR noch mit der ID.
Könnten nicht vielleicht auch die Unzufriedenheit der Menschen mit der Migration oder dem Green Deal Ursache für den Rechtsruck sein? Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt zum Beispiel das Verbrennerverbot ab.
Wenn jemand glaubt, dass der Rechtsruck das Problem der Migration löst, dann sind sie am falschen Dampfer. Weder die Frau Melloni noch der Herr Salvini noch der Herr Kickl als Innenminister haben dieses Problem gelöst. Sie benutzen dieses Thema zur Emotionalisierung. Das verdeckt, was von diesen Kräften an gesellschaftspolitischen Veränderungen umgesetzt wird. Sie stehen für ein Frauen- und Familienbild der Vergangenheit. Sie wollen die Sozialpartnerschaft abschaffen.
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