History: Einsatz der Abwehrkräfte - Die Geschichte der Impfungen

Forscher suchen weltweit nach einer Impfung gegen das Coronavirus. Das nächste Kapitel in einer der größten Erfolgsgeschichten der Medizin.

Die Wimpern waren verschwunden, die Augen lagen in tiefen roten und chronisch entzündeten Höhlen. Eigentlich war Mary Montagu noch glimpflich davongekommen. Immerhin tötet die Krankheit, die sie mit gerade einmal 25 Jahren befallen hatte, fast jeden dritten Infizierten. Die Pocken aber sollten die junge Dame aus einer vornehmen Londoner Familie nicht nur ein Leben lang optisch zeichnen. Sie haben ihr auch einen Ehrenplatz in der Geschichte der Medizin eingeräumt: Als jene Frau, die das Prinzip der Pockenimpfung nach England und damit nach Europa brachte – und das gegen den Widerstand vieler Männer.

Kritisch und für das beginnende 18. Jahrhundert nicht gerade damenhaft, das war Mary schon als junge Frau. Hochgebildet – sie hatte sich quasi ungebeten an der väterlichen Bibliothek bedient – und bemerkenswert attraktiv, war sie nicht nur bald Mitglied der vornehmen Londoner Gesellschaft, sie porträtierte und karikierte sie auch. Ihre Spottgedichte, in denen alle ihre einflussreichen Bekanntschaften von Bischöfen bis zu Politikern vorkamen, waren oft so bösartig, dass sie anonym veröffentlicht werden mussten.

Den adeligen Ehemann, den ihr Vater für sie vorgesehen hatte, wies sie zurück. Als sie gerade den jungen Diplomaten Edward Montagu kennengelernt hatte, trafen die Pocken Mary und ihre gesamte Familie. Ihr Bruder etwa sollte an der Krankheit sterben. Als Mary sie überstanden hatte, folgte sie ihrem Mann nach Konstantinopel, der dorthin als Botschafter des Königreichs entsandt wurde. Eigentlich war erwartet worden, dass sie zu Hause blieb.

„Hier völlig harmlos“

Doch Mary Montagu machte sich nicht nur auf die Reise, sie berichtete auch darüber. In ihren Briefen, später als Buch veröffentlicht, erzählt sie über ihre Begegnung mit der Welt des Orients. Eine der Beobachtungen, die sie dabei machte, schildert sie so:

„Ich werde euch von einer Sache erzählen, sodass ihr wünschen werdet, hier zu sein. Die Pocken,

so tödlich und so weitverbreitet bei uns, sind hier völlig harmlos.

Es gibt da eine Gruppe alter Frauen, die haben daraus ein Geschäft gemacht, diese Operation jeden Herbst durchzuführen ...“

Was Mary Montagu in Folge beschreibt, war jene Inokulation, die über China und Indien an den Hof der osmanischen Sultane gelangt war. Sobald in einer Familie bei Hof, oder auch bei einer der Haremsdamen die Pocken aufgetreten waren, entnahm einer der Frauen aus den Pusteln das Sekret.

Danach lud man zu einer Art Pockenparty, bei der dieses Sekret allen Anwesenden mithilfe einer dicken Nadel in eine Vene geritzt wurde. Die Impfung war vollzogen, und wie Mary Montagu feststellte, sie war wirksam. Denn die Pockennarben, die in Großbritannien die Gesichter von so vielen entstellten, konnte sie in Konstantinopel kaum einmal entdecken.

Die Sache wäre eine historische Fußnote geblieben, wäre nicht Marys Mann zurück nach London berufen worden – und dort wüteten wieder die Pocken. Entschlossen, ihren dreijährigen Sohn vor der Krankheit zu schützen, ließ Mary die Impfung an ihm vornehmen. Er blieb auch nach der Rückkehr gesund.

Die Ärzte in London beeindruckte dieses exotische Getue vorerst gar nicht, auch weil sie an diversen Wunderkuren für die Pocken gut verdienten. Doch Mary Montagu blieb hartnäckig. Bei der nächsten Pockenwelle gelang es ihr, dem Arzt des Königs die Methode vorzuführen – diesmal an ihrer Tochter. Es funktionierte erneut und überzeugte nun sogar viele Skeptiker. Die Pockenimpfung, in ihrer Urform, hatte es dank einer engagierten Frau nach Europa geschafft.

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