Bischofsvikar Vieböck: „Ehrenamtliche sind der Schlüssel für die Zukunft der Kirche“
Wilhelm Vieböck ist Bischofsvikar (Stellvertreter des Bischofs), Domprobst (Vorsitzender des Domkapitels), Herausgeber der Linzer Kirchenzeitung und Pfarradministrator Pfarre St. Michael am Linzer Bindermichl. Der gebürtige Helfenberger hat im Mai seinen 75. Geburtstag und am 10. Oktober sein 50-jähriges Priesterjubiläum gefeiert. Ende des Jahres gibt er altersbedingt die Funktion des Bischofsvikars ab.
KURIER: Die Weltsynode in Rom ist zu Ende gegangen. Die Hoffnungen waren groß, vor allem, dass der Papst das Frauendiakonat erlauben wird. Das ist nicht passiert. Ist das nicht eine Enttäuschung?
Wilhelm Vieböck: Mich wundert das nicht. Ich könnte mir persönlich schon einiges vorstellen. Wenn der Papst die Entwicklungen in der Anglikanischen Kirche beobachtet (dort können Frauen seit 20 Jahren Priesterinnen werden, die Mehrheit der Neupriester ist weiblich; nun können sie – nach heftigen Auseinandersetzungen – auch Bischöfinnen werden), sieht er, dass es dort nur mehr wenig Gemeinsamkeiten gibt. Wenn man solche Entscheidungen nur mit einer knappen Mehrheit zustande bringt, gewinnt man nicht wirklich etwas.
Immerhin hat es am Ende der Weltsynode geheißen, dass die Tür nicht völlig zu ist, sondern dass die Zeit noch nicht reif ist. Dem kann ich etwas abgewinnen. Wie das bei den Frauen ankommt, deren Geduld schon seit längerer Zeit strapaziert wird, kann ich schwer beurteilen. Ich finde den Ansatz von Klara A. Csiszar (Linzer Theologin, nahm an der Weltsynode teil) nicht so schlecht, die sagt, man muss sich das gesamte Paket Frau in der Kirche ansehen und man sollte nicht immer nur auf die Weihe starren.
Es ist eine Realität, dass die kirchliche Arbeit in weiten Teilen von Frauen getragen wird, sie aber von den Weiheämtern und damit von den Führungsfunktionen ausgeschlossen bleiben. Auch die römisch-katholische Kirche wird um die Gleichberechtigung der Frau nicht umhinkommen.
Ja. Der Pfarrgemeinderat in meiner Pfarre St. Michael wird von einer Obfrau geführt, ihre Stellvertreterin ist ebenfalls weiblich. Ich habe mit ihnen nicht darüber gesprochen, ob das Diakonat für sie eine Option wäre. Ich hatte einmal eine Pastoralassistentin, die starke liturgische Ambitionen hatte. Auf meine Frage in einem persönlichen Gespräch, ob sie sich zur Priesterin berufen sehe, hat sie ausweichend geantwortet. Es ist schon viel gewonnen, wenn man respektiert wird und ein vernünftiges Miteinander lebt. Aber es löst natürlich nicht die offene Frage.
Ist Papst Franziskus nicht konservativer, als viele glauben?
Das kann schon sein, aber die Frage ist, was ist progressiv oder konservativ? Ich habe mir seine Schlussansprache bei der Synode angesehen und er ruft zum Aufbruch, zur Aktivität auf. Ich erlebe ihn hier offensiv. Dann hat er wieder zum Teil ganz alte Bilder von Frauen. Da ist er eher wie ein alter weißer Mann. Er hält viel von der Volksfrömmigkeit und der Tradition. Und zugleich kommen von ihm wieder die Impulse. Die Zuschreibungen von progressiv und konservativ werden ihm nicht ganz gerecht.
Das II. Vatikanische Konzil (1962–1965) war eine Zeit des Aufbruchs. Dieser wurde durch die Wahl von Johannes Paul II. 1978 gestoppt. Die Kirche erlebt nun seit Jahrzehnten einen Stillstand.
Das kommt auf die Sichtweise an. Auf die Diözese runtergebrochen, hat man mit der Diözesansynode (1970–’72) die Pfarrgemeinderäte eingeführt, die es vorher nicht gegeben hat. Wir haben die Mitbestimmung eingeführt. Wenn bei der Weltsynode gesagt wurde, man soll schauen, wie die Mitwirkung des Volkes Gottes bei Bischofsernennungen möglich wird, erinnert mich das an unseren Bischof Maximilian Aichern, der uns beauftragt hat, nach Möglichkeiten zu suchen, auf einer breiteren Basis zu möglichen Bischofskandidaten zu kommen. Das haben wir zwei Mal gemacht. Dann ist uns das von Rom abgedreht worden.
Und jetzt kommt das als große Sache von Rom. Wir haben das alles schon erarbeitet. Das ist nur ein kleines Beispiel dafür, dass es doch kein Stillstand war. Zugegebenermaßen hat es verschiedene Bremsmanöver gegeben. Wir haben auch verschiedene Leitungsmodelle erarbeitet, zum Beispiel die Einführung der Seelsorgeteams vor über 20 Jahren. Sie haben sich sehr bewährt. Sie gehen nun ein in das neue Pfarrgemeindemodell, wo die Gläubigen vor Ort Verantwortung übernehmen müssen. Wir als Diözese stehen dahinter und führen sie in die Arbeit ein.
Eine Dezentralisierung im Sinne der Subsidiarität?
Die Menschen sollten entdecken, dass sie vollwertige Mitglieder der Kirche sind. Und nicht Konsumenten, die darauf warten, ob ein Pfarrer kommt oder nicht. Sie sollen verstehen, dass das ihre Sache ist. Die Zahl der Priester wird nicht mehr werden.
Sie sind in der Zeit des II. Vatikanums Priester geworden. Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?
Neben den Aufbrüchen hat es auch Abbrüche gegeben. Auch von meinem Linzer Priesterweihejahrgang sind viele wieder weggegangen. Die Priester, die die Kirche hier verloren hat, waren nicht die schlechtesten. Ich habe aber nie zu denen gehört, die geglaubt haben, jetzt wird alles anders. Mir war klar, dass das ein Marathon wird, bis sich die Reformen verfestigen.
Viele sind Priester in der Erwartung geworden, dass sie früher oder später heiraten dürfen.
Das hat sich nicht erfüllt. Unser Spiritual in Rom, der paradoxerweise später selbst geheiratet hat, hat uns immer gepredigt, nicht Priester zu werden, mit der mentalen Reserve, später heiraten zu dürfen. Er meinte, wir sollten in diesem Fall mit der Priesterweihe warten, bis die Erlaubnis zur Ehe tatsächlich gegeben ist. Ich persönlich bin mit der zölibatären Lebensweise gut zurechtgekommen.
Wie ist es Ihnen mit den kirchlichen Auf- und Abbrüchen ergangen?
Es tut weh, wenn jemand weggeht, den man schätzt. Als ich anschließend Kaplan in Gmunden war, hat sich bei der Jugend so viel getan. Nicht wenige von ihnen, die sich damals engagiert haben, sind jetzt vielfach in ihren Pfarrgemeinden aktiv.
Es ist für mich tröstlich, dass die Energie, die man in die Sache reingesteckt hat, nicht einfach verpufft ist. Es gibt ein dankbares Echo.
Für die Traditionalisten galt Linz als progressive Diözese, die auf Linie gebracht werden musste. Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen und nach den Ergebnissen des II. Vatikanums geschaut, Arbeit in der Seelsorge zu organisieren und auszurichten. Als wir 2002 mit den Seelsorgeteams begonnen haben, hatten wir Anfragen aus Diözesen aus dem norddeutschen Raum. Die Steirer verfolgen ein ähnliches Modell wie wir. Wir haben die lokale Stärkung schon länger forciert. Diese Themen stellen sich heute für alle. Die Situation ist für alle so herausfordernd, dass man sinnvollerweise nur schauen kann, wie man das gemeinsam am besten lösen kann.
Die Situation der römisch-katholischen Kirche ist dramatisch, die Orden haben kaum Nachwuchs, die Priesterzahlen gehen seit Jahren massiv zurück, ebenso die Zahl der Sonntagsgottesdienstbesucher, viele treten aus. Bestehende Strukturen brechen ein.
Wir dürfen nicht nur defensiv unterwegs sein, sondern müssen schauen, welche Chancen bieten sich für die eine kleiner werdende Gemeinschaft. Die Ordensgemeinschaften arbeiten sehr gut an ihren Profilen, sowohl die Frauen als auch die Männer. So schade der Rückgang ist, so inspirierend ist ihre Arbeit.
Unser Zukunftsweg ist der Versuch, uns strukturell sinnvoll darauf einzustellen. Nur jammern und zu warten, ist nicht zielführend. Man muss in den Pfarren eine gute Arbeit machen.
Ist diese für Sie entscheidend?
An der Basis entscheidet sich, wie es weitergehen wird. Wir haben in der Pfarre St. Michael auch Kirchenaustritte. Wir haben aber auch welche, die wieder zurückkommen oder neu eintreten. Das sind zahlenmäßig natürlich weniger. Ich erlebe auch für mich, dass man nicht depressiv werden muss, sondern dass es auch die positiven Erfahrungen gibt. Wir sind gut beraten, uns auch die Hoffnungsgeschichten zu erzählen und uns nicht nur anzusudern.
Wie soll es weitergehen?
Es wird gut weitergehen. Wir müssen miteinander ehrlich sein. Es gibt viele Menschen, denen Kirche ein Anliegen ist, sie mittragen und mitgestalten. Wir müssen zum Beispiel in der Pfarre St. Michael Arbeiten aufteilen, die vorher die Pastoralassistentin gemacht hat und die nun weg ist. Und es finden sich Menschen, die die Aufgaben übernehmen. Die Zukunft der Pfarrgemeinde hängt von den Ehrenamtlichen ab. Denn ich bin altersmäßig ein Auslaufmodell.
Das heißt, die Kirche hängt am ehrenamtlichen Engagement der Gläubigen?
Das ist der Schlüssel. Es wird natürlich weiterhin Hauptamtliche geben, ob geweiht oder nicht. Sie müssen mit den Ressourcen, mit den Charismen der Ehrenamtlichen gut umgehen.
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