Erste Ausfahrt mit dem Ineos Grenadier
Wenn ein paar Herren bei einigen Bieren und Gin in einem Pub zusammensitzen, kann es sein, dass zu vorgerückter Stunde Zeichnungen von Autos, die man gern realisiert sehen würde, angefertigt werden. Wenn einer davon ein Multimilliardär ist, kann es auch sein, dass mehr daraus wird. Jim Ratcliffe, seines Zeichens Chef des Chemieriesen Ineos und einer der reichsten Engländer, sah den neuen Defender nicht als rechtmäßigen Nachfolger des Ur-Defender an und beschloss, sich seinen eigenen „Defender“ zu bauen. Herausgekommen ist der Ineos Grenadier, benannt nach dem Pub in London, in dem die ersten Skizzen für das Auto auf eine Serviette gekritzelt wurden.
Wir sind nicht in London, sondern in der englisch-schottischen Grenzregion unterwegs. Die Macher von Ineos wollen die Offroad-Fähigkeit des Autos unter Beweis stellen und abseits der befestigten Straßen hat der Grenadier reichlich Gelegenheit dazu. „Debatable Lands nannte man die Ecke als sie weder unter die schottische noch britische Herrschaft fiel und so wenig überraschend Spielwiese für räuberische Clans war, die entweder für die Engländer oder die Schotten in den Krieg zogen (je nachdem, wer besser zahlte).
Die Gewalttätigkeiten endeten erst, als die schottische und englische Krone vereinigt wurden oder – so das zweite Erklärungsmodell vom 11. Duke von Roxburghe – als das Rugbyspiel erfunden wurde und die so genannten Reivers dann so dem gepflegten Raufhandel nachgehen konnten.
Hart im Nehmen ist auch der Grenadier, dafür wurde er entwickelt. Leiterrahmen, Starrachsen, permanenter Allradantrieb mit Geländeuntersetzung, sperrbarem Mitteldifferenzial und – wenn gewünscht – Sperrdifferenzialen auch für vorne und hinten. Für die Entwicklung ging man nach Graz zu den Offroad-Spezialisten von Magna Steyr, wo man entsprechende Offroad-Kompetenz hat.
Damit ist man für matschige Waldwege gut aufgestellt. Auch ein auf Knopfdruck aktivierbarer Offroadmodus, der unter anderem die Traktionskontrolle anders kalibriert, ist dabei. Eingeschaltet wird das System über einen Schalter, der sich in einer Schaltereinheit im Dachhimmel über dem Fahrer befindet. Einen Touchscreen hat der Grenadier auch, aber da werden eher Fahrinformationen (wie Tempo oder Navigation) angezeigt. Dass es echte Schalter gibt, hat auch einen ziemlich einleuchtenden Grund: Wenn man mit Arbeitshandschuhen etwas bedienen will, kann man sich die Bedienung via Touchscreen an den Hut stecken.
Auf Asphalt
Wie fährt sich der Grenadier auf der Straße? Überraschend gut – vor allem das Geräuschentwicklung ist angenehm reduziert. Und das obwohl wir All Terrain Reifen an unserem Auto haben. Die Motoren liefert BMW, zur Wahl stehen entweder ein Reihensechszylinder-Diesel oder ein Reihensechszylinder-Benziner - beide kommen aus Österreich, aus dem BMW-Werk in Steyr. Die sorgen für die erwünschte Laufruhe bei längeren Autobahnfahrten und reichlich Drehmoment im Gelände. Die 8-Gang-Automatik – der Wählhebel dafür wird BMW-Fahren bekannt vorkommen – hält den Motor im optimalen Drehzahlbereich. Gewöhnungsbedürftig ist nur die indirekte Lenkung.
Wir lenken den Grenadier mittlerweile über die rutschigen Wege des Kielder Forest. Weit weg von Zivilisation, so weit, dass der Himmel über der Gegend besonders dunkel ist. Deshalb hat man hier ein Observatorium errichtet hat, das von der Abgeschiedenheit profitiert, nur der wolkenfreie Himmel über dem Norden Großbritanniens lässt mitunter lange auf sich warten.
Auch schwere Stürme ziehen über die Gegend, erst 2021 verwüstete Sturmtief Arwen den Kieler Forest und entwurzelte zehntausende Bäume, die Spuren der Verwüstung sind immer noch sichtbar. Wind und Wetter können den Herdwick-Schafen nichts anhaben. Die widerstandsfähigen Tiere können drei Tage unter Schnee vergraben überleben und fressen dabei ihre eigene Wolle. Mit dem Grenadier könnte es man wohl auch eine Zeit in der Wildnis aushalten. Wenn einem der Sinn nach Camping steht, kann man diverse elektrische Geräte anschließen. Eine im vorderen Stoßfänger integrierte Seilwinde wäre auch zu haben. Über das Zubehörprogramm kann man den Grenadier mit allen möglichen Teilen weiter ausstaffieren. In Schienen außen am Auto kann man auch Haken anbringen, um irgendwelche Dinge dranzuhängen.
„Dort hinten liegt Ulverstone, dort ist Stan Laurel geboren“, sagt unser Guide, der uns durch den Steinbruch von Burlington geleitet. Das Gelände ist ungleich anspruchsvoller geworden. Wir klettern mit unseren Grenadieren in einem Schiefersteinbruch herum. Spielplatz nennen die Ineos-Leute das Geläuf mit leuchtenden Augen. Auf steinigen Trassen geht es bergauf und bergab. Hier kommen auch erstmals die Sperren für die Hinterachse zum Einsatz. Das Auto ist durch das regnerische Wetter innen wie außen weitgehend verdreckt. Innen kann man den Ineos aber leicht reinigen – mit dem Spritzschlauch. Ablaufventile im Boden sorgen dafür, dass das Wasser wieder ablaufen kann und auch der Rest des Interieurs hält einiges aus.
Michael Wilson ist der „Kings Guide to the sands“ also der königliche Sandlotse. Sein Job ist es Personen bei Ebbe sicher von einem Ende der Morecambe Bay zum anderen zu bringen. Dafür bekommt er 15 Pfund pro Jahr und darf in einem 700 Jahre alten Cottage wohnen. Manche nennen den Weg einer alten Postkutsche-Route über die Bucht den gefährlichsten Highway Großbritanniens. Strömungen, Treibsand und eine schnell ansteigende Flut machen die Ecke gefährlich.
Wattiefe
Normalerweise begleitet der Guide Wanderer über die Mündung des Flusses Kent, dass ein Tross von Geländewagen hier fahren wollte, kam eher überraschend. Aber dafür hat ihn der König in seinen Diensten, also nahm er seinen Hund, seinen Traktor, ein paar Helfer und wartete auf den exakt richtigen Zeitpunkt, um die Bucht an der Spitze der Gruppe zu überqueren. Ja nicht stehen bleiben, außer der königliche Guide, erlaubt es, hatte man uns noch eingebläut, ebenso, dass wir ihn samt seinem Traktor nicht überholen sollen. Bei einer Wattiefe von 800 mm hat man ein paar Sorgen weniger, wenn man durchs Wasser fährt. Wobei der Grenadier sogar einen Watmodus hätte (den wir aber nicht aktivieren), mit rund 8 mph rollen wir langsam aber sicher durchs Wasser.
Am anderen Ende der Bucht warten Schaulustige aus dem Ort, die das Ganze interessiert beobachten. Ein paar von ihnen haben schon einen Grenadier bestellt, erklärt man uns. Nachdem keiner abgesoffen, steckengeblieben oder in Richtung offene See abgetrieben ist, ziehen die Ortsbewohner zufrieden und leicht nass vom Regen wieder von Dannen. Und am Ende wartet wieder ein Pub.
Antrieb: 6-Zyilinder-Diesel, 2993 ccm, Leitung: 249 PS, max. Drehmoment 550 Nm oder 6-Zyinder-Benziner, 2998 ccm, Leistung 286 PS, max. Drehmoment 450 Nm. Allradantrieb, sperrbares Mitteldifferenzial. Fahrleistungen: Spitze 160 km/h, 0 - 100 km/h in 8,6 Sekunden (Diesel 9,9 Sekunden)
Abmessungen: Länge x Breite x Höhe 4896 x 1930 x 2036 mm, Radstand 2922 mm
Geländedaten: Bodenfreiheit 264 mm, Wattiefe 800 mm, Böschungswinkel vorn 35,5°/hinten 36,1 °, Rampenwinkel 28,2 °, Steigfähigkeit 45 °
Verbrauch: Benziner 14,4 - 14,9 l /100 km; 299 - 346 g CO2/km; Diesel 10,9 - 12,1 l /100 km, 268 - 308 g CO2/km
Preis: Ineos weist die Preise für Österreich inkl. MWSt. aber noch ohne NoVA aus. Demnach startet der Utility Wagon bei € 67.690 (2 Sitzer), der Station Wagon bei € 76.790.
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