Wie tickt der Kanzler im "Skikrieg"?

Wie tickt der Kanzler im "Skikrieg"?
Die Debatte um die Schließung von Skigebieten teilt das Land. Ein paar Gedanken über unser "Heiligtum der Nation". Und wie tickt der Kanzler?
Richard Grasl

Richard Grasl

Österreich hat drei Millionen Skifahrer, schreibt das deutsche Handelsblatt in seiner Freitagsausgabe. Knapp 40 Prozent der Gesamtbevölkerung. In Deutschland sind es 14,6 Millionen (knapp 20 Prozent), in Frankreich sogar nur 8,6 Millionen (13 Prozent). Wir gewinnen wohl deswegen auch öfter bei den Rennen (derzeit eh nicht mehr), wir sind auch ski-narrischer als die Bewohner anderer Bergländer. Und wir sind wie kein anderes Land wirtschaftlich so sehr davon abhängig. In der Schweiz werden 22,8 Millionen Besucher pro Jahr gezählt. Bei uns sind es 52,5 Millionen - also mehr als doppelt so viele. Danke dem Handelsblatt für diese spannende Recherche.

Bei uns sind die Berge in der Bundeshymne, es werden Lieder über das "leiwande" Skifahren geschrieben, bei denen schon mal der Montag blau gemacht wird, um nochmals runterzuwedeln.

60 % Nicht-Skifahrer gegen 40 % Skifahrer

Und die Debatte um eine mögliche Absage oder Verschiebung der Skisaison nimmt Ausmaße an, wie die Diskussionen um das Wirken und Leben Diego Maradonas in Argentinien. Dort wurde gleich mal eine dreitägige Staatstrauer verhängt. (So viele Tage wie bei uns nach dem Terroranschlag in Wien übrigens.)

Die Debatte dürfte ziemlich eindeutig an der Front Skifahrer vs. Nicht-Skifahrer verlaufen, wobei ZIB 2-Moderatorin Lou Lorenz-Dittlbacher ziemlich sicher zu den Ski-Abstinenzlern zu gehören scheint, wie ihr gestern abend beim Interview mit Tourismusministerin Elisabeth Köstinger fast körperlich anzusehen war. Interessanterweise hat eine Umfrage von kurier.at ergeben, dass 42 Prozent gegen die Schließung der Lifte ist. Genauso hoch ist (siehe oben) die Zahl der Skifahrer.

Krone-Kolumnist Michael Jeannée ist wortgewaltig gegen das Skifahren, wenige Seiten weiter ist Krone-Chefredakteur Georg Wailand aus wirtschaftlicher Sicht dafür, der linke Autor Robert Misik sieht es so wie Jeannée. Die (eher) linke Journalistin Barbara Kaufmann wiederum versteht nicht, warum man Skifahren gleich mit Abfeiern beim Après-Ski gleichsetzen muss. Der deutsche Bild-Chefredakteur Julian Reichelt spricht von einem Anschlag auf Österreichs Volkswirtschaft. Auch der Spiegel kritisiert Merkels "fehlendes Gespür für Schnee". Die Theaterbranche versteht nicht, warum Skifahren möglich sein soll. Und je mehr Italien und Deutschland auf unseren Volkssport einhacken, desto mehr solidarisiert sich das Land wie damals bei den Sanktionen der EU gegen Österreich. Wenn der bayrische Ministerpräsident Söder nochmals behauptet, in Ischgl habe sich halb Europa infiziert, wird die "Ja zum Skifahren"-Fraktion bald in der Mehrheit sein. Köstinger dazu in der ZIB 2: "Die Entscheidung fällt sicher in Österreich, wir entscheiden ja auch nicht über den Karneval in Deutschland."

Einige Gedanken dazu

1. Auf der Piste steckt man sich nicht an, der Babyelefant ist zu langsam. Wenn, dann wird es in der Gondel, beim Après-Ski oder privaten Feiern im Hotelzimmer gefährlich. Wenn es hier strenge Regeln gibt und diese auch kontrolliert werden, spricht nichts dagegen. Die Hotels selbst haben schon im Sommer gute Hygienekonzepte entwickelt. Idee für die Skihütten: Suppe, Würstel und Getränke nur outdoor anbieten und im Stehen. Keine alkoholischen Getränke.

2. Massenandrang an den Skiliften wird es heuer keinen geben. Nachdem Söder und Merkel selbst für Tagesausflügler nach Österreich eine zehntägige Quarantäne anordnen, bleibt der Großteil der Gäste ohnehin weg. Für Skifahrer, die echt wegen des Skifahrens skifahren, wird das ein Traum. Kaum Verkehr auf den Skipisten! Übrigens läuft gleichzeitig in Deutschland die Debatte darüber, die Quarantäne auf sieben Tage zu verkürzen.

3. Zahlt es sich für Hotels und Liftgesellschaften dann überhaupt aus, ihre Betriebe aufzusperren? Tatsächlich könnte es zu einem "Lockdown durch die Hintertür" kommen. Denn eine bestimmte Grundauslastung ist notwendig. Und viele denken schon darüber nach, dass der derzeit gewährte Umsatzersatz besser sein könnte als ein defizitäres Geschäft. Der Sprecher der Wirte ist mittlerwile auch dafür, bis 31. Jänner zu schließen. Andererseits gibt es für jene, die aufsperren und weniger Umsatz machen, den Fixkostenzuschuss, aber nur bis zu 800.000 Euro, das wird bei großen Alpenhotels und Liftbetreibern nicht reichen.

4. Böse dürfen wir den anderen Ländern nicht sein. Ischgl (und der Umgang damit) hat international viel Vertrauen zerstört. Und Österreich hat im Sommer im Fall Kroatiens ähnlich gehandelt. Dort haben wir wegen weitaus geringerer Infektionszahlen auch eine Reisewarnung verhängt, obwohl im Sommerurlaub das Infektionsrisiko ja viel niedriger war als im kalten Winter. Man sieht sich im Leben immer zweimal.

5. Ein politischer Beobachter sagte heute zu mir: "Am Ende entscheidet es eh der Kurz wie bei den Schulen!" Mag sein. Wie tickt also der Kanzler zur Skifrage? Kurz hat bei den bisherigen Einschränkungen immer gezeigt, dass ihm das Infektionsgeschehen wichtiger war als wirtschaftlicher Schaden. Er war immer der vorsichtigere Part in der Regierung. Vom Typ her ist er eher Skitourengeher als Liftfahrer. Der Tennisspieler Kurz hat auch die Tennishallen geschlossen. Aber in dieser Frage geht es nicht nur gegen den heftigsten Widerstand der Landeshauptleute und der Seilbahnbetreiber, sondern um eine österreichische Symbolfrage. Und das ist - wie wir wissen - Kurz heilig. Österreich ohne Ski ist wie ein Weihnachten ohne Opa und Oma. Daher ein Tipp des Autors: Es wird Skifahren geben, aber mit heftigen Auflagen. Und Weihnachten mit den Großeltern auch.

Und 6. (ein bissl polemisch): Viele von jenen, die jetzt das Skifahren verbieten wollen, waren im Frühjahr auf den Barrikaden wegen der Sperre der Bundesgärten. Vielleicht hinkt der Vergleich, aber vielleicht auch nicht.

Danke jedenfalls für die vielen Mails von Ihnen, wir freuen uns über jedes weitere - bitte an richard.grasl@kurier.at. Der Autor outet sich hiermit jedenfalls als Anhänger des Skifahrens, das er nach 20 Jahren Pause wieder lieb gewonnen hat.

Und heute sollten die Infektionszahlen endlich mal runtergehen. Wir berichten auf kurier.at gewohnt flott.

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