Neue Runde im Empfehlungsroulette

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Warten oder nicht warten – der Gesundheitsminister rüttelt mit seinem Vorstoß zum vierten Stich wieder an seiner Glaubwürdigkeit.
Laila Docekal

Laila Docekal

Medizin ist keine exakte Wissenschaft – diesen Satz muss man sich immer und immer wieder vor Augen führen, wenn man sich dieser Tage angesichts der widersprüchlichen Aussagen rund um die vierte Impfung nur noch an den Kopf greifen will.

Bei Impfempfehlungen hat sich Österreich bisher ja gerne an der europäischen Arzneimittel-Agentur EMA orientiert. Da mutet es schon sehr befremdlich an, dass Gesundheitsminister Rauch just Stunden vor der EMA-Entscheidung zum angepassten Impfstoff vorprescht, sich vor die Presse stellt und die Bevölkerung ab 12 Jahren zum vierten Stich mit dem alten Impfstoff aufruft. Nur ganz zufällig liegen noch mehr als zwei Millionen Impfdosen herum, die abzulaufen drohen – bei etwas mehr als der Hälfte wird die Haltbarkeit gerade verlängert.

Vor drei Wochen lautete die Empfehlung des Nationalen Impfgremiums (NIG) noch ganz anders: Da wurde lediglich den über 60-Jährigen empfohlen, sich im Sommer noch den vierten Stich zu holen, um sich für den Herbst zu rüsten – der Rest sollte das persönliche Risiko einschätzen und könne warten. Der Andrang hielt sich in Grenzen, vergangene Woche waren gerade einmal 45.000 impfen. Jetzt, kurz bevor der angepasste Impfstoff kommen soll, heißt es plötzlich, es wäre „absolut unvernünftig“, darauf zu warten … Da schütteln selbst manche der viel zitierten heimischen Experten den Kopf.

Inzwischen verkündet der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach: „Jetzt macht es wirklich Sinn, die paar Tage zu warten, bis der neue Impfstoff da ist“, und stellt schon für kommende Woche erste Lieferungen in Aussicht. Abgelaufene Impfstoffe? „Luxusproblem.“

Alles unklar?

So geht’s vielen. Grundsätzlich gilt der neue Impfstoff, der aus dem alten und dem auf die Omikron-Variante BA.1 abgestimmten Vakzin besteht, als besser. In ein paar Wochen soll sogar ein weiterer, an die aktuell kursierenden Varianten BA.4 und BA.5 angepasster Impfstoff kommen. Allerdings haben wir nicht die leiseste Ahnung, was im Herbst überhaupt auf uns zukommt. Welche mehr oder weniger gefährliche Variante um die Ecke wartet.

Genau genommen kann auch keiner sagen, ob die Maskenpflicht mal wieder eingeführt oder sogar Lockdowns ausgerufen werden. Vielleicht ist die Herdenimmunität auch schon so groß, dass sich die nächste Welle nicht gröber auswirkt als eine heftigere Grippewelle. Vielleicht auch nicht. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wie gesagt, Medizin ist keine exakte Wissenschaft.

Politik noch viel weniger. Ihrer Glaubwürdigkeit würde es aber nicht schaden, zumindest den eigenen Kurs nicht ständig zu wechseln.

laila.docekal@kurier.at

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