Visionen statt Kleingeist

Emmanuel Macron lächelt inmitten von EU- und Frankreich-Flaggen.
Emmanuel Macron steht vor einer zweiten Amtszeit - und beansprucht die Führungsrolle in einem Europa, das stark sein muss in Putin-Zeiten.
Andreas Schwarz

Andreas Schwarz

Am Sonntag wählt Frankreich, und alle Anzeichen deuten auf einen vielleicht nicht fulminanten, aber doch klaren Sieg von Amtsinhaber Emmanuel Macron hin. Das ist gut so. Denn eine Putin-Versteherin und Europa-Zersetzerin wie Marine Le Pen möchte man sich nicht im übelsten Traum im Elysée-Palast oder auf der Brüsseler Bühne der Staats- und Regierungschefs vorstellen.

Macron ist ein starker Verfechter der europäischen Idee. Er formuliert sie gerne mit (über)großer Geste. Auch wenn von seinen Visionen der Vertiefung dann wenig bis gar nichts umgesetzt wird. Er beansprucht selbstverständlich eine, ja die Führungsrolle innerhalb der EU – Angela Merkel ist in Pension, Boris Johnson nicht mehr in der EU und Mario Draghi ein Wunderwuzzi bloß für Italien – und das auf Abruf. Und sonst? Bleibt Macron.

Aber braucht es überhaupt einen starken politischen Führer in Europa?

Es braucht ein starkes und einiges Europa. Das, was in Sonntagsreden seit Jahrzehnten beschworen (und selten gelebt) wurde, hat sich an einem Donnerstag im Februar, heute vor zwei Monaten, mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine als plötzliche Tugend in der Not herausgestellt.

Wladimir Putin hat seinen Feldzug gegen die Ukraine und den Westen ja von langer Hand geplant. Und zwar nicht, weil ihm Europa nicht rechtzeitig die Hand gereicht hätte (es hat, in Wahrheit, zu viel). Sondern weil er die Geschichte umschreiben will. So ergeben auch seine Bemühungen, EU-Europa zu schwächen – Unterstützung der Le Pens und Salvinis, der FPÖ bis Orbán, Fake-news-Verbreitung, versuchte Wahlmanipulation – durchaus Sinn.

Es ist ihm nicht gelungen. Der russische Präsident hat sich nicht nur bei seinem militärischen Raubzug schwer verkalkuliert. Er hat sich auch in Europa geirrt: Die Europäische Union plus Großbritannien sind dem Kriegsverbrecher und seinen Getreuen im Kreml vor allem zu Beginn sehr ent- und geschlossen entgegen getreten. Opportunistische Glücksritter wie Viktor Orbán haben sich mit ihrem zögerlichen Kurs gegenüber Putin selbst unter ihren Freunden isoliert.

Die EU wird nie zu Vereinigten Staaten von Europa à la USA werden. Es wird auch nie den EU-Außenminister geben, dessen Telefonnummer sich Henry Kissinger für Absprachen gewünscht hätte. Aber starke Persönlichkeiten, die die Union lenken, die einen Kurs einschlagen und eine Vision am Horizont haben, die Geschlossenheit statt kleingeistiger Eigeninteressen im Fokus haben und im Idealfall nicht gegeneinander agieren, die braucht es. Auch in Zeiten, die wir vielleicht einmal Nachkriegszeit nennen dürfen und in denen es wieder um wirtschaftlichen Wettbewerb und Wohlstand gehen wird. Vielleicht geht sich das ja sogar noch unter Emmanuel Macron aus.

Porträt eines Mannes mit Brille und blauem Sakko vor dem Schriftzug „Kurier Kommentar“.

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