US-Egoismus nicht nur aburteilen

Man mag Trumps Wirtschaftspolitik unausgegoren nennen, sich moralisch zu entrüsten, ist verlogen.
Konrad Kramar

Konrad Kramar

Es ist gewissermaßen Kapitel eins, Absatz eins seines gesamten politischen Programms: „Amerika zuerst“. Dass Donald Trump – polternd und impulsiv, wie er nun einmal ist – dieses Programm jetzt in die Tat umsetzt, ist etwa so überraschend wie ein „Tatort“ im Sonntag-TV-Hauptabend. Trumps Strategie, einer global ins Hintertreffen geratenen Industrie mit Handelsschranken und Zöllen ein bisschen Schonzeit zu gönnen, mag in der globalisierten Wirtschaft zu kurz greifen. Die Absicht dahinter, sich zuerst um das eigene Land und dessen Bürger zu kümmern, ist nicht nur nachvollziehbar, sie ist auch weltweit gelebte Praxis.

Verbirgt sich hinter Angela Merkels Beschwörungen eines geeinten Europa nicht primär das Interesse eines Exportgiganten, dem die Schwäche des Euro und die Schulden der Südländer die Staatskasse gut gefüllt haben? Braucht Emmanuel Macron Europa als schöne Idee, oder doch vielmehr als Behüter und Finanzier der französischen Agrarindustrie? Chinas Spielchen mit der eigenen Währung und dessen Kanibalisierung von Urheberrechten bedarf in diesem Zusammenhang keiner weiteren Erklärung. Warum also rümpft man die Nase über jemanden, der sich nationalen Egoismus ans politische Revers heftet, während andere diese politische Untugend hinter wolkigen Phrasen von globaler Partnerschaft verstecken? Vielleicht ist es Zeit für alle Akteure auf dem globalen Markt, mit offenen Karten zu spielen, und die eigenen Interessen ehrlich zu vertreten. Wie weit man mit der scheinheiligen Variante kommt, lässt sich bei endlosen WTO-Streitereien, der Blockade von TTIP und anderen Handelsabkommen oder der völlig widersprüchlichen EU-Energiepolitik ohnehin nachlesen.

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