Uninformiertheit bedeutet Manipulierbarkeit

Wissenslücken (nicht nur) bei Jungen: Warum es gefährlich ist, eine geschichtslose Nation zu werden.
Martina Salomon

Martina Salomon

Es gibt Momente im Journalistenleben, in denen man sich fragt, warum manche Mediengeschichten nie bis zum Konsumenten vordringen. So einen Moment erlebt man beim Studium einer Umfrage des OGM-Meinungsforschungsinstitutes: Nur zwölf Prozent der unter 30-Jährigen Befragten geben die richtige Antwort auf die Frage, was im März 1938 geschehen ist. (Der „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland.) Zwei von drei jungen Österreichern sagen frank und frei, dass sie keine Ahnung haben. Aber selbst bei den über 50-Jährigen weiß es nur ein Fünftel. Dabei konnte man sich im Befragungszeitraum (Mai/Juni 2018) wirklich nicht über mangelnde Berichterstattung über das Gedenkjahr beklagen.

Natürlich wäre es dazu auch hilfreich gewesen, wenn das „ Haus der Geschichte“ in Wien nicht erst zu Jahresende (immerhin zum Jahrestag der Republiksgründung im November) eröffnet würde. In der „never ending story“ reiht sich ein ruhmloses Kapitel an das andere. Hinter vorgehaltener Hand halten viele das Projekt längst für scheintot. Da war man in St. Pölten deutlich fixer mit einem eigenen Museum.

In ländlichen Gemeinden, so zeigt die OGM-Studie, ist das historische Wissen viel größer als in städtischen Regionen. Sind wir eine multikulturelle, aber geschichtslose Nation geworden? Was bleibt für Österreich von den Umbrüchen, derer wir heuer gedenken? Und wofür sollte man sich auch heute noch einsetzen?

Die Revolution von 1848 erkämpfte bürgerliche Freiheiten, auch die Pressefreiheit. 1918 war das Gründungsjahr der Republik Österreich, das man damals allerdings weniger mit Freude als mit dem Verlust eines einst großen Reiches assoziierte: 20 Jahre später – 1938 – ein Mitgrund für den Untergang. 1968 dann die Abnabelung von der „Kriegsgeneration“, wo viele Schuld auf sich geladen hatten – Stichwort: „Trau keinem über 30“ – und die Befreiung der Frau. Wer sucht, findet all dieses Wissen natürlich auch auf Instagram oder YouTube, wo sich die Jüngeren via Handy (suchtartig) bewegen. Aber die wahrlich nicht weltbewegenden Schminktipps junger Internet-Stars bekommen deutlich mehr Aufmerksamkeit. Ja, das ist auch eine Kritik an den jungen Frauen: Die Studie zeigt, dass sie noch uninformierter sind als ihre männlichen Altersgenossen, was für die erhoffte Gleichberechtigung nichts Gutes verheißt. Uninformiertheit bedeutet leichtere Manipulierbarkeit.

Gerade jetzt, wo sich tiefe Risse in der Gesellschaft, nicht nur in Österreich, auftun, ist es heilsam, sich zum Beispiel mit den 1930er-Jahren zu beschäftigen. Um zu sehen, wie Polarisierung zur Katastrophe führt. Auch eine heterogene Gesellschaft braucht zumindest ansatzweise eine gemeinsame Identität, sonst ist es für eine vitale Religion oder für Verführer mit einfachen Botschaften ein Leichtes, dieses Vakuum zu füllen.

So gesehen bleibt der Journalismus unglaublich wichtig. Natürlich ist das auch ein Auftrag an uns im KURIER, sachliche Aufklärung zu betreiben. Damit Geschichten über Geschichte auch für junge Leser interessant sind, braucht es wohl neue Formate. In diesem Bereich – siehe oben – sind wir Medien (und die Schulen) leider fulminant gescheitert.

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