Am schönsten war es immer kurz nach dem Regen. Wenn das Wasser noch von den Ästen der Bäume tropfte, wenn das Grün der Blätter glänzte und sich feiner Nebel über die Bergkuppen ringsum legte. Dann war ich am liebsten in unserem Haus am Berg. Es war eigentlich kein Haus, sondern eine Hütte. Kein hochherrschaftliches Jugendstiljuwel, in dem Schriftsteller und Künstler früher ihre Sommerfrische verbrachten. Eher ein störrisches altes Gebäude, einst ein Bergbauernhof, baufällig, launisch, aber mit viel Charakter. Ganz so wie seine Bewohner. Wir verbrachten dort viele Ferien, auch als wir längst nicht mehr alle zur Schule gingen. Und immer, wenn der Sommer kommt, wenn es heiß wird in der Stadt, dann kommt mein Landheimweh. Die Sehnsucht nach dem See, an dem ich aufgewachsen bin, und nach dem Haus am Berg.

Die Landromantikerin

Mir fehlen der weite Blick, die Stille, die scharfe Luft, die tagsüber flirrt vor Hitze, und abends und morgens klar und kalt ist. Mir fehlen die heftigen Gewitter mit dem schwarzlila Himmel, bei denen man denken könnte, dass die Welt untergeht. Mir fehlt die Höhensonne, die alles zum Stehen bringt und die Kühe unter die Bäume in den Schatten treibt. Also sitze ich vor meinem Wohnungsfenster in der Stadt, blicke auf die Straße und bin mürrisch. „Ach, du Landromantikerin“, lacht die Freundin meiner Schwester, die den Bauernhof ihrer Eltern übernommen hat, mich aus, „jetzt bist du schon so lange in Wien, dass du klingst wie die Touristen.“ Damit meint sie, ich bin eine von den Wochenendhäuslerinnen, eine Sonntagsbesucherin, die keine Ahnung hat von den Alltagsproblemen, der Arbeit und den Anstrengungen.

Eine, die kommt und von früher faselt, sentimentale Fotos schießt, in Erinnerungen schwelgt, aber hier leben, nein danke! Natürlich hat sie nicht ganz unrecht. Ich hab in der Schulzeit ein paar Mal am Bauernhof einer Freundin geholfen. Das ist lange her, aber an den Muskelkater kann ich mich noch gut erinnern. Ich habe keine Ahnung, was es bedeutet, Wind und Wetter ausgesetzt zu sein und weit fahren zu müssen, um in ein Krankenhaus zu gelangen. Ich bin allergisch auf Bienen und Wespen, ich fürchte mich vor Tieren, die größer sind als Katzen. Ich muss niesen, wenn ich Heu rieche. Ich habe kein Auto, ja nicht mal einen Führerschein. Ich würde am Land wohl keine Woche überleben.

Sommer in Wien

Deshalb hat mir eine wanderbegeisterte Wiener Freundin letzten Sommer geraten, ich soll doch mal das Land in Wien suchen. Ich soll die Stadtwanderwege nutzen, auf den vielen Wiesen liegen, beim Heurigen sitzen. Dann würde ich auch fündig werden. Ich wollte es ausprobieren, packte eine Jause in meinen Rucksack und ging los. Ich spazierte die Donau entlang und weiter nach Floridsdorf, es war ein heißer Tag, aber der Wind wehte. Und fast war es perfekt, fast war es wie beim Haus am Berg oder am See. Ich fand einen Baum auf einer großen Wiese und hockte mich darunter, um meine Jause auszupacken. Da kam eine ältere Frau wild gestikulierend auf mich zu. „Na! Net!“ schrie sie von Weitem und ich sah, dass sie wütend war, mehr noch, empört! „Net da herludln!“ Und von einer Sekunde auf die nächste war ich ganz schnell wieder in Wien.

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