Die „neue Normalität“ der Pandemie weicht gerade einer anderen „neuen Normalität“, und die könnte noch viel dramatischer ausfallen: Wir müssen uns auf Mangel und Verzicht einstellen. Europa wird zum Kontinent der begrenzten Möglichkeiten. Die Preise von Lebensmitteln, Energie, Baumaterialien, Papier explodieren (und Immobilien sind für Normalverdiener ohnehin bereits unerschwinglich geworden). Ein Flug von Rom nach Wien oder von Wien nach Köln kann jederzeit ausfallen. Besser Zugfahren? Überfüllt, teuer, chaotisch. Wer jetzt umweltbewusst sein Heim mit Solarpaneelen oder Wärmepumpe ausstatten will, erntet ein mildes Lächeln. Die Betriebe werden der Aufträge längst nicht mehr Herr. Der Kunde möge sich auf eine Warteliste setzen lassen, Rückruf in drei Monaten …
Der Krieg wird mit Gaslieferungen als Waffe geführt. Daher drohen nun Warmwasserbeschränkung, autofreier Tag und vielleicht sogar Massenkündigungen wegen Produktionsbeschränkungen. Dazu kommt die Inflation mit steigenden Gehältern. Viele Unternehmen können diese Kosten bald nicht mehr auf die Kunden überwälzen. Und irgendwann einmal wird auch die staatliche Gießkanne nicht mehr so leicht nachfüllbar sein. Gleichzeitig steigt durch Nahrungsmittelknappheit der Migrationsdruck auf Europa. Eine verheerende Situation. Macht die EU noch Politik im Interesse ihrer Mitgliedstaaten?
Rückblickend gesehen war es wohl naiv zu erwarten, dass es immer nur bergauf gehen werde. In unseren Breitengraden galt ja bisher bereits als arm, wer nicht jedes Jahr eine Flugreise buchen konnte. Jetzt geht es ans Eingemachte, und die europäischen Lebenslügen werden aufgedeckt: dass in Wahrheit die Amerikaner, für unsere Verteidigung sorgten. Oder dass der Wohlstand durch globale Abhängigkeiten erkauft war – natürlich nicht nur von Russland, sondern auch von China.
In vielen asiatischen Ländern übernimmt man riesige, auch finanzielle Anstrengungen, um in Zukunftstechnologien Weltmarktführer zu werden. In entscheidenden Technologiefeldern ist der Zug für Europa wohl abgefahren. Technik, Leistung, Ehrgeiz, Elite? Nehmen Sie diese Worte in den Mund, schon ernten Sie in Österreich einen Shitstorm der Twitteria und werden als eiskalter Neoliberaler punziert. Aber Europa befindet sich in diesem Sommer an einer krisenhaften Zeitenwende. Mit Sozialpopulismus, Gemütlichkeit, moralisierender Überheblichkeit und lockerem EZB-Geld lässt sich die Schlacht, in der sich die Europäische Union befindet, nicht gewinnen.
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