PRO
Wöchentlich, zumindest mehrmals im Monat, haben Paare im fruchtbaren Alter hierzulande Sex. Eine erfreuliche Sache. Wer Sex hat und keine Kinder will, muss Geld für Verhütung ausgeben. Bis zu 20 Euro monatlich für die Pille oder einen 18er-Pack Kondome. Die Entscheidung für eine mehrjährige, besonders verlässliche Empfängnisverhütung verlangt einen tieferen Griff in die Tasche: Zwischen 300 und 500 Euro kostet das Legen einer Hormon- oder Kupferspirale oder eines Hormonstäbchens. Kosten, die nur durch Enthaltsamkeit zu senken wären. Und jetzt im Ernst: Ungewollten Schwangerschaften vorzubeugen, kann nicht finanziell Privilegierten vorbehalten sein. Frauen – sie tragen die Kosten oft allein – weichen in finanziellen Schieflagen auf billigere, weniger solide Mittel aus oder verzichten ganz darauf – nehmen aus Geldnot ungeschützten Geschlechtsverkehr in Kauf. Verhütung – nach Alter oder Einkommen gestaffelt etwa – kostenfrei zu machen, ist also grundvernünftig. Unrealistisch ist es mitnichten, man werfe den Blick nach Deutschland, Frankreich oder Italien.
Mit der aktuellen Verhütungspolitik ist man schlicht säumig, einen Hebel zur Senkung der Abtreibungszahlen zu nutzen. Familienplanung staatlich zu stützen, hätte auch ökonomische Vorteile: Ungeplante Schwangerschaften können massiv belasten, Jobverlust oder ein Abrutschen in Armut nach sich ziehen. Alle Menschen sollten selbstbestimmt entscheiden dürfen, ob sie bereit für ein Kind sind. Alles andere ist ein gesellschaftliches Armutszeugnis.
Marlene Patsalidis ist Wissen-Redakteurin
CONTRA
Wann haben Politiker beschlossen, an die Eigenverantwortung zu appellieren, an das Subsidiaritätsprinzip zu erinnern und gleichzeitig mitunter fast das Gegenteil davon zu tun?
Die Kritik an der „Koste es, was es wolle“-Politik der Pandemiejahre, die dem Gießkannenprinzip folgte, scheint nicht nur verklungen, sondern vergessen, wenn man den Vorschlag von Johannes Rauch betrachtet. Der grüne Gesundheits- und Sozialminister will Frauen im reproduktiven Alter zwischen 14 und 45 Jahren kostenlose Verhütungsmittel zur Verfügung stellen.
Als Pilotprojekt dient ihm vor der Nationalratswahl partout sein Heimatbundesland Vorarlberg. Dort soll das kostenlose Angebot bis 2026 wissenschaftlich begleitet werden. Kostenpunkt: eine Million Euro.
Statt eben diese Million ausschließlich jenen zuteilwerden zu lassen, die sich Verhütungsmittel nicht leisten können, folgt Rauch bei dem Pilotversuch wider besseres Wissen dem Gießkannen-Prinzip. Nährt die Vollkasko-Mentalität.
Statt das Angebot per se zumindest auf Verhütungsmethoden zu beschränken, die Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten bieten, lässt er freie Wahl. Und das im Wissen darum, dass die Zahl der sexuell übertragbaren Krankheiten wie HIV, Chlamydien, Gonorrhoe oder Syphilis steigt. Aus Unachtsamkeit wie Unwissen. Letzteres zu beheben, um eigenverantwortlich handeln und leben zu können, das ist vorrangige Aufgabe der Politik im Bildungs- und Gesundheitsbereich.
Johanna Hager ist Innenpolitik-Leiterin
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