Soll Österreich der NATO beitreten?
Finnland und Schweden wollen in die NATO. Österreich fürchtet sich zwar ein bisschen vor einem Krieg, aber hat zumindest laut Regierung keine entsprechenden Vorhaben. Die Diskussion ist aber zwangsläufig eröffnet, nachdem der russische Angriffskrieg auf die Ukraine Europa in Aufruhr versetzt. Sollen wir zur NATO?
PRO
Seit Jahrzehnten ist Österreich in Sachen internationaler Sicherheitspolitik ein Trittbrettfahrer. Man sieht sich neutral und als Brückenbauer. Umgeben von NATO-Staaten sei man außerdem ja völlig sicher. Wozu also diese bequeme Position aufgeben?
Dafür gibt es mehrere Gründe. So existiert die Neutralität nur auf dem Papier. In Wahrheit war Österreich nie neutral. Politisch und wirtschaftlich war es seit 1955 immer nach Westen ausgerichtet. Der EU-Beitritt 1995 hat diese politökonomische Orientierung manifestiert. Zudem hat Österreich selbst das Neutralitätsgesetz von Anbeginn gebrochen. Denn laut Neutralitätsgesetz müsste Österreich im Ernstfall sein Staatsgebiet „mit allen zu Gebote stehenden Mitteln“ verteidigen. Das Bundesheer war und ist dafür aber nie ausgerüstet worden. Es fehlt und fehlte an Budget, Gerät und Ausbildung.
Das muss sich umgehend ändern. Und zwar gleich am besten in Form eines NATO-Beitritts und einer damit verbundenen Modernisierung und Aufrüstung des Heeres. Das ist natürlich nicht bequem – aber alternativlos. Denn seine Sicherheit auszulagern, ist nicht nur moralisch verlogen, sondern auch gefährlich. In den Kriegen der Zukunft geht es nicht mehr nur um Panzer, die die Staatsgrenze überrollen. Es geht um großflächige Cyberangriffe und Blackouts. Die Szenarien sind vielfältig. So könnten sich militärisch gut ausgebildete Terroristen zu einem großflächigen Anschlag auf eine internationale Institution in Wien entschließen. Was dann? Wer wird uns dann zu Hilfe eilen?
Es wird also höchste Zeit, die Neutralitätslüge abzulegen und die Sicherheit unseres Landes selbst in die Hand zu nehmen. Und das eingebettet ist die NATO. Die ist übrigens ein Verteidigungs- und kein Angriffsbündnis …
Wolfgang Unterhuber ist Ressortleiter für die Wirtschaft
CONTRA
Österreich liebt seine Neutralität. Ohne sie gäb’s keine österreichische Identität, keinen Frieden. Redet man sich zumindest ein. Denn die ehrliche Debatte darüber, dass die Neutralität kein selbst gewählter Freifahrtschein ins Nachkriegsglück war, sondern ein von den Sowjets aufgezwungenes Konstrukt, um Österreich nicht in den US-Orbit rutschen zu lassen, wird – klassisch österreichisch – lieber nicht geführt.
Seit Russland seinen blutigen Krieg gegen die Ukraine führt und so die europäische Sicherheitsordnung auf den Kopf gestellt hat, ist diese Debatte aber so nötig wie noch nie. Was nutzt uns die mystisch-sakrosankte Neutralität, wenn sie Österreich nur zum sicherheitspolitischen Trittbrettfahrer aller Nachbarn macht? Wenn selbst die neutrale Schweiz in uns ein bedrohliches „militärisches Vakuum“ (Zitat NZZ) sieht ?
Ein Sich-ehrlich-Machen muss und soll nicht dazu führen, die Neutralität abzuschaffen und in die NATO zu eilen; das wäre politisch auch noch gar nicht machbar. Aber die Diskussion sollte bewirken, dass Österreich seine Verteidigungsfähigkeit hinterfragt. Bisher waren wir im Vogel-Strauß-Modus, haben uns im eigenen Lächerlichmachen sogar noch gefallen. Ehemalige Rekruten erzählen sich ja gern, wie marode das Heer, wie absurd ihre Dienstzeit war. Diese Geisteshaltung ist angesichts eines echten Krieges mit echten Toten aus der Zeit gefallen. Das Bundesheer, mittlerweile zum besseren Katastrophenschutzverein geschrumpft, muss so nachgerüstet werden, dass Österreich sich in den sicherheitspolitischen Verbund Europas einreihen kann.
Nur dann können wir, wie es die Schweiz nun macht, eine ehrliche Debatte über die NATO führen. Beim EU-Beitritt hat dieses langsame politische Vortasten auch funktioniert; es hat halt nur – typisch österreichisch – einige Jahre gedauert.
Evelyn Peternel ist Außenpolitik-Redakteurin mit Schwerpunkt Russland.
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