Politik unter Dodelverdacht

Wenn Volksvertreter in die Wirtschaft wechseln – und umgekehrt – ist das kein Grund für Häme.
Martina Salomon

Martina Salomon

Für Siemens dürfte Wehsely ihr Gehalt wert sein.

von Dr. Martina Salomon

über Ein- und Ausstieg aus der Politik.

Und wieder einmal Siemens, so ein Zufall! Der Konzern verkauft der Stadt Wien Ampeln, U-Bahnen, Straßenbahnen (zuletzt bekam aber Konkurrent Bombardier den Zuschlag) und Medizintechnik. Schon Ex-Finanzstadträtin Brigitte Ederer arbeitete für Siemens. Jetzt holt sich die Firma Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely nach Deutschland. "Österreichs Rache für die deutsche Maut und die Grenzpolitik", witzelte ein Poster auf kurier.at. Für Siemens dürfte Wehsely als Lobbyistin allerdings ihr Gehalt wert sein. Schließlich weiß sie aus ihrer zehnjährigen Tätigkeit, wann wo gekauft werden muss und wer das in Wirklichkeit entscheidet.

Die Wiener Politikerin hat sich zuletzt nicht gerade mit Ruhm bekleckert (Stichwort: Krankenhaus Nord). Dennoch wäre es problematisch, so einen Wechsel immer gleich als "Versorgungsposten für gescheiterte Politiker" abzuqualifizieren. Genau das ist nämlich der Grund, warum sich fähige, erfolgreiche Menschen in der Mitte ihres Lebens einen Wechsel in die Politik kaum vorstellen können. Sie fürchten zu Recht Probleme bei ihrem beruflichen Wiedereinstieg nach dem Ende des politischen Mandats. Die Folge: Berufspolitiker, Kammer- und Gewerkschaftsfunktionäre sowie Beamte dominieren die Politik. Freiberufler und Unternehmer kann man im Parlament mit der Lupe suchen.

Kanzler Kern, der als ÖBB-Chef rund doppelt so viel verdiente wie jetzt als Kanzler, ist übrigens auch kein klassischer Quereinsteiger. Er startete seine Karriere im SPÖ-Parlamentsklub – kein Schaden bei seinem späteren Einstieg in die staatsnahen Unternehmen Verbund und Bahn. Gut oder schlecht? Es wird weiterhin die Aufgabe der Medien sein, mit Argusaugen zu beobachten und auch zu kritisieren, wenn Parteifreunde, gleich welcher Farbe, gut dotierte Posten in der Staatswirtschaft erhalten. Da ist die Sensibilität in der Gesellschaft beträchtlich gestiegen. Gut so.

Interviews nicht als Boxkampf inszenieren

Umgekehrt kann es aber auch kein Beschäftigungsverbot für Politiker geben. Die können meist was und sind keineswegs dümmer oder korrupter als Wirtschaftskapitäne, Fußballer oder Schauspieler. Spitzenpolitik ist Schwerarbeit. Man steht permanent im Rampenlicht, sollte eine dicke Haut, große Auffassungsgabe und Talent für Krisenkommunikation haben. Hören wir daher auf, alle Politiker unter Dodelverdacht zu stellen. Das betrifft auch die Medien: Interviews sind kein Schau-Boxkampf, wo einer zum Schluss in die Knie gehen muss. Die Politik schützt sich davor mit eintrainierten, inhaltsleeren Floskeln – und beschädigt damit weiter ihr Image. Das nützt niemandem.

Antworten auf offene Fragen wollen wir nämlich trotzdem hören, etwa: Warum müssen im mit so viel Geld ausgestatteten Wiener Sozial- und Gesundheitswesen Kranke am Gang liegen? Geben wir Sonja Wehselys Nachfolger/in eine Chance, es besser zu machen.

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