Österreich neu denken

Martina Salomon
Die Krise wird vieles revolutionieren – und in manchen Bereichen ist Modernisierung auch durchaus notwendig.
Martina Salomon

Martina Salomon

Genau 75 Jahre nach der (zweiten) Republiksgründung steht ein unerwarteter Neustart an. Aus heiterem Himmel ist nichts mehr, wie es war. Jetzt geht es um das „wirtschaftliche Comeback“, wie der Finanzminister diese Woche in einer der zahllosen Regierungspressekonferenzen sagte.

Der ebenfalls anwesende Vizekanzler sprach dabei nicht nur das Zauberwort „Zuversicht“ aus, er setzt auch auf die gemeinsame „Schubkraft“ von Türkis und Grün, um das Land zu modernisieren. Bei dieser Gelegenheit erwähnte er nicht nur – no na – den Umweltschutz, wo Österreich Vorreiter sein könnte, sondern zum Beispiel auch Antriebstechnologien und Digitalisierung. Was dafür spricht, dass Werner Kogler deutlich pragmatischer ist als die Wiener Grünen, die ideologisch im Fahrrad-Kreisverkehr steckengeblieben sind.

Welchen Ballast werfen wir also ab, um neue Wege zu beschreiten? Österreich soll ein erfolgreiches Tourismusland bleiben, muss aber mehr auf Nachhaltigkeit und, ja, auch auf Ästhetik achten. Die Postkartenidylle täuscht über die Brutalität hinweg, mit der wir das Land verwüsten.

Es mag ein lächerliches Detail sein, aber Sie werden kaum wo so viele potthässliche Gartenzaun-Ungetüme finden wie hierzulande. Österreich wird auch ein Hochsteuerland bleiben, weil uns soziale Sicherheit wichtig ist, mehr Steuern gehen aber gar nicht. Der Mittelstand braucht Luft zum Atmen und die Gewissheit, nicht noch weiter belastet zu werden. Vielen kleinen und mittleren Betrieben fehlt die Substanz zum Überleben, in den Einkaufsstraßen sieht man frisch geräumte Geschäfte. Die Krise hat die Verhältnisse noch einmal zugespitzt: Risikobereite bangen um ihre Zukunft, während man sich im geschützten Sektor über Entschleunigung freuen darf.

Österreich soll weiter Konferenzort sein. Die Bemühung von Sebastian Kurz, an Bruno Kreisky anzuknüpfen und Wien noch mehr zum Ort diplomatischer Vermittlung zu machen, mag ein bisschen größenwahnsinnig sein, hat aber dennoch Sinn.

Österreich bleibt innovativer Industriestandort. 250 heimische Unternehmen spielen in der Top-Liga mit – sind entweder Nummer eins in Europa oder belegen gar die Plätze eins bis drei am Weltmarkt. Maschinenbau zum Beispiel können wir richtig gut. Aber wir sind (zu) stark von der „alten“ Autozulieferindustrie abhängig. Diese beispiellose Ausnahmesituation wird vieles revolutionieren – hoffentlich auch Schule und Arbeitsmarkt.

Ja, natürlich muss jetzt einmal die tiefste Krise seit Jahrzehnten bewältigt werden. Aber die Regierung Kurz könnte den Corona-Schock zu einem Neustart der Republik nützen – auch wenn der Kanzler bisher eher als wendiger Parteierneuerer und Pragmatiker denn als Visionär aufgefallen ist. Wichtig wäre, auch die Opposition positiv einzubinden. Jetzt ist keine Zeit für Grabenkämpfe und Heckenschützen.

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