Eine Regierung aus Karl Nehammer und Pamela Rendi-Wagner, wie sie manche bereits am Horizont heraufdräuen sehen, wäre inhaltlich zwar nicht schlechter als Türkis-Grün und sicher um Häuser besser als Türkis-Blau. Aber sie würde unterm Strich und als Konsequenz aus der aktuellen Skandalserie keinen demokratiepolitischen Fortschritt darstellen. Über kurz oder lang würde Rot-Schwarz wieder in einen Krampf ausarten, wie wir ihn zwischen 2006 und 2016 bis zum Überdruss miterleben mussten.
Türkis-Grün bekäme wohl keine Mehrheit mehr. Und eine Ampelmehrheit aus SPÖ, Grünen und Neos? Darauf zu setzen, dass ÖVP, FPÖ und die Impfverweigererpartei gemeinsam weniger Stimmen erhalten würden als SPÖ, Grüne und Neos, ist eine kühne Wette.
Neuwahlen würden Österreich mit hoher Wahrscheinlichkeit ein noch größeres Regierungsdilemma bescheren als jetzt. Sie wären eine Flucht in die Sackgasse, anstatt endlich die langen Schatten des rot-schwarzen Proporzsystems aufzuarbeiten. Der Proporz war Ausdruck des Misstrauens zwischen SPÖ und ÖVP – man teilte sich das Land gleichgewichtig auf, weil man die Übermacht des anderen fürchtete. Seit der Konterpart SPÖ aus der Regierung flog, wuchert die ÖVP ungebremst in alle Bereiche des Staats hinein.
Der ÖVP ist offenbar entgangen, dass ihre Hybris nicht in die neuen Zeiten passt, in Zeiten von Diskriminierungsverboten, Selbstbestimmungsrechten und europäisch definierten Sauberkeitsstandards. Der weinerliche Verweis, wonach auch andere Parteien Posten schachern, bringt uns nicht weiter. Es hilft nichts, man muss durch diese Phase der Aufarbeitung durch. Alles muss auf den Tisch. Ehrlichkeit und Konsequenzen sind unvermeidbar, will Österreich nicht absandeln. Ein Land braucht Vertrauen in Polizei und Justiz, es braucht eine leistungsfähige Verwaltung, wo die besten Köpfe gerne arbeiten. Die Parteien müssen ihr Verhalten ändern, inzwischen kann ja schon bald keiner mit keinem mehr regieren.
Man soll sich nichts vormachen: Wenn friedfertige Personen wie Johanna Mikl-Leitner in ihrem Parteimilieu einen Jargon wie „rotes G’sindel“ für angebracht halten, dann ist gründlich was faul.
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