Warum Wien nicht die unfreundlichste aller Städte ist
These. Vielleicht liegt es am Lockdown, vielleicht am Advent, vielleicht aber einfach daran, dass der Vorwurf mittlerweile
tatsächlich etwas öd ist: Die Wiener, das unfreundlichste Volk der Welt. Jedes Jahr kehrt dieser Vorwurf verlässlich wieder – und das trifft manche von uns schon ein bisschen.
Leserin Susanne P. zum Beispiel. Sie bemühe sich immer, möglichst freundlich und hilfsbereit zu sein, schreibt sie. Zu Einheimischen und zu Touristen. Dass sie jetzt mit den Unfreundlichen in einen Topf geschmissen wird, das schmerze sie. Dabei ist Frau P. Sticheleien gewöhnt: Sie war Beamtin am Magistrat.
Gegenthese. Jedenfalls hat Frau P. recht. Und jeder, der schon mehr als drei Stunden hier verbracht hat, weiß, dass Wien nicht die unfreundlichste aller Städte ist. Warum?
... weil einen der Paketpostler hier 300 Meter von zu Hause abfängt und fragt, ob man gerade am Heimweg ist. Weil er das Paket dann nämlich noch geschwind bringen würde.
…weil die Schulkinder und Teenager in der U-Bahn sofort aufspringen, wenn jemand den Sitzplatz notwendiger braucht.
…weil wir es ertragen, dass die Touris in Nicht-Pandemie-Zeiten zu viert nebeneinander schlendern, während wir in Zeitnot sind und jede Sekunde brauchen können. Und wir sie deshalb nicht anstänkern.
…weil wir bestimmt, aber freundlich hineingrätschten, wenn sich dieselben Touris über Sachertorte unterhalten und ernsthaft behaupten, diese sei mit Erdbeermarmelade gefüllt.
... weil die Kellner in unseren Kaffeehäusern nicht ausfällig werden, wenn Nicht-Wiener „Kaffee“ bestellen. Zumindest nicht überbordend.
... und weil wir die Mitbürger aus den Bundesländern im Sommer (wenn sie die Stadt doch nicht mehr zu furchtbar, zu gefährlich und zu unpersönlich finden) nicht an der Grenze abfangen und die wichtigsten Benimm-Regeln für die Großstadt abprüfen. (Rechts stehen, links gehen!)
So sind wir. Das wird ja wohl reichen.
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