Majoranfleisch: Schöne Essigsäure, kräftiger Geschmack, trügerische Erinnerung

Majoranfleisch: Schöne Essigsäure, kräftiger Geschmack, trügerische Erinnerung
Nostalgie in der Küche - leider ohne Bezug zur Realität.
Christoph Schwarz

Christoph Schwarz

Unlängst überkam Ihren Kolumnisten ein nostalgisches Gefühl. Er hatte unbändige Lust auf Majoranfleisch, so wie er es in seiner Kindheit stets gegessen hatte. Saftiges Schmorfleisch, der kräftige Geruch von Majoran, schöne Essigsäure und eine mollige Sauce, um Salzerdäpfel darin zu zerdrücken. 

„weißt du, was ich kochen will?“, schrieb er seiner Mutter auf Whatsapp. „majoranfleisch.“ (Ja, Ihr Kolumnist verzichtet auf Groß- und Kleinschreibung, er ist trotz Nostalgie ziemlich modern.)

Die Mutter reagierte angemessenen freundlich mit vielen Emojis. (Auch sie ist sehr modern.) Echte Begeisterung blieb aber aus – zur Verwunderung Ihres Kolumnisten.

Üblicherweise fachsimpelt man gerne über alte Rezepte. „schickst du mir dein rezept?“, schrieb er. „wovon?“, antwortete die Mutter knapp. „von deinem majoranfleisch!“ Die Mutter rief an. Er habe, offenbarte sie, in der Kindheit nie Majoranfleisch gegessen. Sie kenne das Gericht „eigentlich gar nicht“.

Er werde, versicherte er der Mutter, das Gegenteil beweisen. Er machte sich auf die schwierige Suche nach dem brauchbaren Rezept – und bastelte schließlich aus Versatzstücken sein eigenes. Für zwei Personen schnitt er 500 g Schulterscherzel in Würfel, pfefferte sie, staubte mit Mehl und Paprikapulver und briet sie in Öl. Er hackte zwei Schalotten und etwas Knoblauch, röstete sie in der gleichen Pfanne, löschte mit etwas Weißweinessig,

gab drei EL Majoran hinzu, goss mit 400 ml Suppe auf und ließ alles eine Stunde lang schmoren. Er finalisierte mit Salz, Pfeffer, Crème fraîche, noch mehr Essig – und dickte die Sauce leicht mit Maizena ein.

Die schlechte Nachricht: Der Kolumnist musste feststellen, dass er tatsächlich definitiv noch nie Majoranfleisch gegessen hatte. Die gute: Es schmeckte hervorragend – noch besser als in der Erinnerung!

Das Phänomen nennt sich übrigens Erinnerungsfälschung und ist laut Google ein Fall für den Psychiater. Falls Sie nichts mehr von mir hören sollten: Mahlzeit!

Christoph Schwarz

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