Ein betrügerischer Kleinstadt-Sheriff und vermisste Höflichkeit
Ich habe bemerkt, ich habe etwas, das sich am ehesten als „Höflichkeits-Zwangsstörung“ bezeichnen lässt. Vor wenigen Tagen rief mich eine fremde Nummer an. Ein sehr aufgeregter (vermutlich) US-Amerikaner bellte irgendwas über meinen Amazon-Account ins Telefon. In meiner Vorstellung hatte er einen sehr akkuraten grau-silbernen Haarschnitt, eine verspiegelte Sonnenbrille am Kopf und einen Kaugummi im Mund. Es war klar, dass mich ein Betrüger angerufen hatte. Diese sind derzeit ja sehr umtriebig.
Einfach aufzulegen, das brachte ich dennoch nicht übers Herz. Das widerspricht grundlegend der Erziehung, die ich genießen durfte. Darum antwortete ich auf seine haarsträubende Erzählung darüber, wie mein Account gehackt wurde, mit Floskeln wie „Ah, interessant“ oder „Wirklich?“, um den perfekten Moment abzuwarten, um das Gespräch zu beenden.
Der Betrüger deutete meine Freundlichkeit allerdings anders – er hatte offensichtlich Hoffnung, ein gutgläubiges Opfer am Apparat zu haben. Seine Stimme wurde von Satz zu Satz höher. Schon bald setzte er zu seinem großen Finale an, um größtmöglichen Druck aufzubauen. „Wissen Sie, was das jetzt für Sie bedeutet, Ma’am?“, rief er mit der Attitüde eines Kleinstadt-Sheriffs in einem Hollywood-Blockbuster ins Telefon. Da sah ich meinen Moment gekommen. „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“, erklärte ich. Der Flegel legte einfach auf.
Tags darauf läutete erneut mein Handy. Dieses Mal begrüßte mich eine Frau aus den Niederlanden. Auch sie machte sich große Sorgen um meinen Amazon-Account. „Oh, vielen Dank“, sagte ich. „Allerdings hat einer Ihrer Kollegen bereits gestern versucht, meine Daten zu stehlen.“ Auch sie legte einfach auf.
Kann diesen Leuten mal jemand Benehmen beibringen? Dann würden sie das mit dem Betrügen wohl auch sein lassen.
Weitere Kolumnen finden Sie hier:
➤ Digital Detox am Strand und Diskussionen über Wildschweine
➤ Wenn das Flugzeugtischchen als Polsterersatz herhalten muss
Kommentare