Das zeigt – neben der Tatsache, dass die Briten über ihr Wahlrecht nachdenken sollten – auch, dass Keir Starmer nicht wegen seiner Ideen oder politischen Visionen gewählt wurde. Oder weil er die Partei erneuert, altlinke Antisemiten wie eben Corbyn aus den eigenen Reihen entfernt hat. Starmer ist Premier, weil die Briten schlicht genug von den Eskapaden der Tories hatten, von den Skandalen und dem Chaos, das sie in den Institutionen angerichtet haben – das war für knapp die Hälfte der Wähler das alleinige Wahlmotiv.
Er ist damit, anders als der letzte große Labour-Wahlsieger, auch kein Zeichen der Erneuerung oder des Aufbruchs. Als Tony Blair 1997 den letzten Staub der Thatcher-Jahre aus dem Amt fegte und zwei Dekaden Tory-Herrschaft beendete, war der Wandel in jeder Faser des Landes spürbar. Cool Britannia zog damals mit ihm in die Downing Street 10 ein, New Labour schwappte auf den Kontinent über. Jetzt ist es nur die leise Hoffnung auf etwas Normalität.
Dass die in London einkehrt, ist den Briten zu wünschen. Niemand will monatelang auf Arzttermine warten oder ständig Schlaglöchern ausweichen (2023 gab es unfassbare 631.852 Unfälle wegen Schlaglöchern). Möglich ist aber auch, dass alles noch schwieriger wird. Denn Starmer hat genau so wenig Budget zur Verfügung wie sein glückloser Vorgänger Sunak, und er hat mit Brexiteer Nigel Farage jemanden im Parlament sitzen, der sinnbildlich fürs Dagegensein steht: Wer ihn wählt, will die Mächtigen abstrafen – ganz egal, womit. 13 Prozent hat er mit dieser Haltung geholt.
Große Ratlosigkeit
Damit ist auch diese Wahl ein Symptom der großen Ratlosigkeit, die sich in den letzten Jahren breitgemacht hat. Ein Zeichen des Aufbruchs, der Erneuerung des etablierten Systems sucht man vergebens – in den geriatrischen USA, in Frankreich und Österreich: Überall sind es die Populisten, die die Dynamik im Griff haben.
Dass Labour in Großbritannien mehr Unzufriedene überzeugen konnte als die Populisten, ist ein gutes Zeichen. Keir Starmer, der bisher auffällig blass war, muss sich darum bemühen, den Vertrauensvorschuss auch mit Leben zu füllen – und Dinge umzusetzen, die das Leben der Menschen tatsächlich verbessern. Es bleibt zu hoffen, dass die Langeweile siegt.
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