Er ist doch kein Merkel

Er ist doch kein Merkel
Phlegmatisch und führungsschwach: Kanzler Olaf Scholz verzwergt Deutschlands Rolle in Brüssel und auf der Weltbühne.
Evelyn Peternel

Evelyn Peternel

Im Wahlkampf, da nannten sie Olaf Scholz die „männliche Merkel“. Er sei so spröde, pragmatisch, mitunter emotional unbeholfen wie seine Vorgängerin, hieß es da, und das durchaus anerkennend: Merkel war schließlich jahrelang der Deutschen liebste Verwalterin.

Dieser Nimbus ist ein Jahr nach seinem Wahlsieg völlig verflogen. Scholz wirkt nicht mehr pragmatisch, sondern phlegmatisch, nicht beharrlich, sondern stur. Und das bei Merkel schon schwierige Aussitzen hat er zur Kunstform erhoben: Beim endlosen Streit seiner Koalitionspartner um AKW-Laufzeiten schaute er so lange weg, bis ein Autoritätsverlust drohte; und trotz seines „Machtworts“, das den Streit beenden sollte, wirkt er seltsam machtlos.

Das ist innenpolitisch schon problematisch, da Deutschland gerade in eine Rezession rutscht, auf der Weltbühne ist Scholz’ Zaudern angesichts globaler Krisen aber deutlich fataler. In Brüssel, wo Deutschland seit Jahren immer den Ton angab, ist Scholz nur noch einer unter vielen. Mehr noch: Früher war es Merkel, die alle Positionen auszutarieren versuchte, die teils tagelange Überzeugungsarbeit leistete, um allen schlussendlich die für Deutschland angenehmste Lösung aufzubrummen. Jetzt ist Scholz der unangenehme Bremser. Im nächtlichen Gasdeckel-Streit brachte er das Gros seiner Kollegen mit seiner Halsstarrigkeit gegen sich auf. Und das Ergebnis? Ein halbgarer Kompromiss, der keine Risse kittet.

Freilich, das heißt nicht, dass Merkels Politik immer richtig war, im Gegenteil. Auch in Brüssel haben sie mittlerweile erkannt, dass wir viel von dem, was uns jetzt auf den Kopf fällt, ihr verdanken. Ohne ihren allzu pragmatisch-freundlichen Putin-Kurs, ohne die deutsche Abhängigkeit vom russischen Gas, die uns alle betrifft, wären wir nicht da, wo wir jetzt sind.

Umso schmerzlicher ist es darum, dass Scholz weder ihr Format hat, noch mit Merkels Erbe aufräumen will. Zwar spricht er geschichtsträchtig von einer „Zeitenwende“, doch seine Russlandpolitik ist so zaudernd, dass ganz Osteuropa Deutschland als Partner infrage stellt. Und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron spöttelt über Scholz’ „Isolation“, weil der sich in Sachen Luftabwehr und Energiepolitik nicht mit Paris abspricht – das ist ein Bruch der wohl wichtigsten Achse Europas, den die EU so nötig hat wie einen Kropf.

Für all jene in Moskau, Peking und anderswo, die das Friedensprojekt Europa ohnehin lachhaft finden, ist die deutsche Leerstelle auf der Weltbühne ein wahres Geschenk. Eine streitende, schwache EU ohne nennenswerte Führungsfigur ist ja genau das, worauf es Wladimir Putin seit Jahren anlegt. Dass der deutsche Kanzler das noch nicht erkannt hat, ist die eigentliche Tragik – und wohl Scholz’ folgenschwerstes Nichtstun.

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