Günter Franzmeier über Politik: „Die Realität ist immer ärger“

Günter Franzmeier über Politik: „Die Realität ist immer ärger“
Interview: Der Josefstadt-Neuzugang spielt in "Ein Volksfeind" einen Politiker - und hat genau auf deren Floskeln geachtet.
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Die  langjährige Stütze des Volkstheater-Ensembles ist an die Josefstadt gewechselt. In Ibsens „Ein Volksfeind“ spielt er den Bürgermeister Stockmann, einen sehr heutigen Politiker. Premiere ist am Donnerstag.

KURIER: Wie laufen denn die Proben mit Regisseur David Bösch?
Günter Franzmeier: Es läuft sehr gut. Wie immer bei David Bösch werden die letzten Tage anstrengend, weil er immer viel ändert, sobald wir auf der Bühne sind – da fängt die Fantasie an zu blühen. Mir macht das Spaß.

Das Stück passt ja perfekt in unsere Zeit, es geht um vergiftetes Wasser und vergiftete Seelen ...
Absolut. Trotzdem muss man das Stück bearbeiten. Diese ausufernde Sprache funktioniert so nicht mehr. Wir haben eine Bearbeitung von Arthur Miller genommen und wieder ins Deutsche rückübersetzt, das haben wir dann noch einmal bearbeitet.  Ich in der Rolle des Bürgermeisters habe mir aktuelle Floskeln aus der Politik genommen. So etwas wie „Wir haben Geld in die Hand genommen“. Früher hätte man einfach gesagt, man hat es ausgegeben. Oder heute werden immer ganz tolle „Pakete geschnürt“. Oder das Wort „Narrativ“, das auf einmal jeder verwendet. Man fragt sich, warum reden die so? Wollen die von etwas ablenken?

Damit wird die Geschichte noch aktueller.
Ja. Wobei: Die Realität ist immer noch ärger. So sehr kann man es gar nicht überhöhen, dass es die Realität einholt.

Trotzdem könnte die Geschichte direkt aus den Nachrichten kommen: Jemand stellt fest, dass das Wasser vergiftet ist – und wird zum Verräter gestempelt.Man fragt sich: Wie viel Kraft braucht ein Whistleblower, um ein heutiges Wort zu verwenden, um die Wahrheit zu verkünden? Und niemand will auf ihn hören. Denn jedem ist der eigene Rock näher.

Stichwort Wahrheit: Wir leben ja in einer Zeit, in der man mit Wahrheit sehr elastisch umgeht.
Das wird im Stück auch thematisiert. Wenn jemand mit einem Bericht kommt, antwortet die Politik sofort mit einem Gegenbericht. Und nichts davon ist wissenschaftlich abgesichert – das sind im Grunde Fake News. So funktionieren auch die sozialen Medien. Jeder kann reinschreiben, was er will – und  wir sind kaum noch in der Lage, ruhig nachzudenken.

Sie haben einmal in einem KURIER-Interview von der „globalen Verblödung der Menschen“ gesprochen. Was kann man dagegen tun?
Ja, das stimmt immer noch. Bildung hilft auf jeden Fall, Bildung ist das Wichtigste. Aber die heutige Generation junger Menschen ist nicht so blöd, wie man manchmal behauptet.

Die Theater, die Kultur an sich, haben jetzt Probleme, Publikum zu bekommen. Haben sich die Menschen in der Pandemiezeit abgewöhnt, ins Theater zu gehen?
Das glaube ich, ja. Der Stellenwert ist nicht mehr so hoch. Es gibt Netflix, Sky  und Amazon, die bieten alles für einen Abend zu Hause.  Das Hauptproblem am Theater ist: Es gibt zu wenig Autoren, bei denen man sagt: Das neue Stück muss man sehen.

Was können die Theater machen? Leichtere Kost bieten?
Das wäre für mich der falsche Weg. Subventioniertes Theater hat die Pflicht, gesellschaftspolitisch aufzurütteln und Fragen zu stellen. Wenn du Geld kriegst vom Staat, hast du einen Bildungsauftrag, du musst etwas bieten, was zum Denken anregt. Man muss das Publikum binden, mit klugen Sachen. Man kann das Publikum auch einmal überfordern – meistens wird es ja eher unterfordert.

Sie sind neu in der Josefstadt. Fühlen Sie sich wohl?
Ich wurde hier so nett aufgenommen. Es ist ein großer Schritt für mich, etwas ganz Neues anzugehen, aber es fühlt sich gut an.

Sie waren viele Jahre ein Aushängeschild des Volkstheaters. Sind Sie enttäuscht, dass Sie dort nicht mehr gebraucht wurden?
Ich war nicht enttäuscht, ich habe sogar angeboten, dass ich gehe. Ich hatte den Eindruck, Direktor Kay Voges hat kein Interesse an mir. Ich dränge mich sicher nicht auf, ich will ja etwas beitragen, ich möchte gewollt werden. Ich habe aber schon vorher gespürt, es wird Zeit, zu gehen. Ich habe 25 Jahre am Volkstheater gespielt – ich hatte den Drang, etwas anderes zu machen.

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