Woraufhin neben Cooling-Off-Forderungen, Aber-wie-vereinbart-er-das-mit-der-Familie-Vorwürfen und allgemeiner Ablehnung des Gedankens, dass Blümel überhaupt je wieder einen Job bekommen soll, auch der vielleicht kurz-sichtigste (sorry) Einwand auf den Tisch gelegt wurde: Bitte, der hat doch nur Philosophie studiert!
Übersetzt: Und so jemand kriegt eine Leitungsfunktion in der Finanzwirtschaft?
Titel ja, Bildung lieber nicht
Klar, man weiß ja, dass man die österreichische Titelliebe nur ja nicht mit Bildungszugewandtheit verwechseln darf. Im Gegenteil: Die heimliche Ansicht, dass das, was der "Herr Magister" oder der "Herr Doktor" studiert hat, eigentlich natürlich ein Blödsinn gewesen sein muss, ist weit verbreitet. Ebenso weit wie die für viele immer noch große Schwierigkeit zu erkennen, dass es Magistrae und Doktorinnen gibt, die den Titel aus eigenen Stücken erlangt haben, und nicht mit dem akademischen Grad des Mannes mitgemeint sein müssen.
Diese reflexartige Bildungsfeindlichkeit nun zeigte sich bei der Blümel-Debatte gerade dort, wo sie sonst verpönt ist: Ausgerechnet mancher, dem diese sonst fern liegt, machte sich, um Blümel eins auszuwischen, rasch die unterkomplexe kapitalistische Verwertungslogik zu eigen, unter der gerade die Geisteswissenschaften an den Unis so leiden: Philosophie, das ist doch bitte zu nichts nütze. Die Wissenschaft vom Denken wird in der Qualifikationshierarchie weit unter dem CEO eines Finanzinvestors eingereiht (abgesehen von weiterer universitärer Ausbildung Blümels). Er hat zwar auch einen Wirtschafts-Master, das geisteswissenschaftliche Studium wurde dennoch als Disqualifizierungsgrund ins Rennen geführt.
Was für ein Mumpitz – und zwar in jeder Hinsicht!
Nachdenken erlaubt - auch in der Wirtschaft
Gerade die Geisteswissenschaften rüsten, das ist kein Geheimnis, durchaus hervorragend für die Komplexität des Wirtschaftslebens. Besser, als manches Fachstudium, dessen Wissen alsbald veraltet ist. Ein Studium, in dem man sich – wie tiefgehend auch immer – mit der Geistesgeschichte überhaupt, mit dem Nachdenken über das Denken und, eben, den Denkern beschäftigt, ist in Zeiten der künstlichen Intelligenz, des Green Investments oder auch des Aufholbedarfs Europas in der IT gefragt wie nie.
Das sagt kein langhaariger Philosophieprofessor, sondern unter anderem Steve Jobs und der Präsident von Microsoft. Die Mehrheit der Führungskräfte hat eben nicht die viel beworbenen Stem-Studien (Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen, Mathematik) absolviert, sondern ein Sozial- oder geisteswissenschaftliches Studium, berichtet die BBC.
Und umgekehrt: Wer will die Finanzwelt geistig unbegleiteten Wirtschaftlern überlassen?
Natürlich besteht die Gefahr, dass man nach dem Studium der Philosophie so klug ist als wie zuvor. Und im Machiavelli-Proseminar hat die gesamte Regierung Kurz die Abschlussarbeit grundlegend versemmelt. Aber dass nun ausgerechnet die ÖVP-Gegner eine damals ebenso heftig abgelehnte ÖVP-Argumentation – wer erinnert sich an den "Orchideen-Studium"-Sager von Karlheinz Grasser? – annehmen, um einem Ex-ÖVP-Minister eins auszuwischen: Um das zu verstehen, muss man wohl wirklich Philosophie studiert haben. Und selbst dann geht’s kaum.
Der Autor ist Ressortleiter Kultur im KURIER und hat, hüstel, Philosophie studiert.
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