Weiterwurschteln als realistische Option

Der Ruf nach der großen europäischen Lösung in der Flüchtlingskrise ist vor allem riskantes Wortgeklingel.
Konrad Kramar

Konrad Kramar

Die Stärksten und die Brutalsten setzen sich durch.

von Mag. Konrad Kramar

über die Flüchtlingskrise

Alles, nur bitte nicht die letzte Ausrede solle ihm Gott nehmen, bittet ein Gläubiger in einem altbewährten jiddischen Bonmot. Es scheint, in der Flüchtlingskrise hat wohl die inzwischen fast schon sprichwörtliche europäische Lösung die Rolle dieser letzten Ausrede übernommen. Da mögen gut mit EU-Geldern dotierte ostmitteleuropäische Regierungen die Aufnahme von Flüchtlingen verweigern, da mag das seltsame Tauschgeschäft mit der Türkei – ein Flüchtling hin, einer zurück – nur mit Brüsseler Logik verständlich sein, irgendwann, so der eherne Leitsatz, werde das alles in die große europäische Lösung münden.

Man kann das als ohnehin realitätsfernes Theater abtun. Das Dumme ist nur, es gibt all jenen, die jeden Schritt, der tatsächlich gesetzt wird, als unmenschlich, unpraktisch und langfristig unhaltbar abtun, das perfekte Dauerargument in die Hand. Kein Zweifel, die von Österreich orchestrierte Schließung der Grenzen auf dem Balkan hat auch schwerwiegende negative Konsequenzen. Doch in einer Situation, die sich wie diese Krise dynamisch – um es nicht dramatisch zu nennen – entwickelt, ist ständiges Improvisieren wohl der einzige Weg, um wenigstens einigermaßen handlungsfähig zu bleiben. Europa wird wohl auch weiterhin unaufhörlich mit unerwarteten Entwicklungen konfrontiert werden – und mit Konsequenzen unseres Handelns, die wir jetzt noch nicht einmal annähernd absehen können. Die größte Gefahr aber birgt die Tatenlosigkeit. Wer diese Flüchtlingsbewegung wie im letzten Herbst in die völlige Unkontrollierbarkeit abgleiten lässt, produziert das, was jede Anarchie verlässlich produziert: Die Stärksten und die Brutalsten setzen sich durch.

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