Tote haben sich mehr als Heuchelei verdient

Den Charlie-Hebdo-Sonntagsreden muss eine offene Debatte folgen, nicht nur mehr Macht für die Polizei.
Konrad Kramar

Konrad Kramar

Den Sonntagsreden muss eine offene Debatte folgen, nicht nur mehr Macht für die Polizei.

von Mag. Konrad Kramar

über Folgen von Charlie

Es war ein Drama mit einem ziemlich berechenbaren Drehbuch. Auf das Entsetzen über den Terror folgte der gesellschaftliche Schulterschluss samt all den gut eingeübten Gesten der Versöhnung – und nun die Rückkehr in den Alltag und in die alten Frontstellungen. Dass würdige Imame den friedlichen Geist des Islam beschwören, ändert nichts daran, dass jugendliche Migranten eine Ideologie suchen, in der sie all ihre Frustration über soziale Ausgrenzung und über das Gefühl ständiger Erniedrigung kanalisieren können. Europaweit beschwören Spitzenpolitiker das friedliche Miteinander mit den muslimischen Mitbürgern. Beim Kampf gegen den Terror aber greifen sie zuerst wieder zu den zwar nicht bewährten, dafür aber bei der ängstlichen Mehrheit umso beliebteren Instrumenten: mehr Überwachung, mehr Polizei, mehr Festnahmen auf bloßen Verdacht.

Dass diese Maßnahmen nichts als ein – durchlässiger – Notverband für eine Wunde in unserer Gesellschaft sind, lässt sich gut 13 Jahre nach den Anschlägen des 11. September nicht mehr wegleugnen. Mag sein, dass die Arbeit der Geheimdienste und der Polizei Terroranschläge verhindert hat. Tatsache aber ist, dass sie auch den Graben zwischen der muslimischen Minderheit und dem Rest der Bevölkerung weiter vertieft hat, das Vertrauen dieser Minderheit, anerkannter Teil dieser Gesellschaft zu sein, weiter untergräbt: guter Dünger für Radikalisierung und Terror. Die diffuse Mischung aus Sonntagsreden und pauschalen Verdächtigungen muss endlich einer ehrlichen Auseinandersetzung Platz machen. Wir müssen unseren muslimischen Mitbürgern klarmachen, welche Grundprinzipien unserer Gesellschaft auch für sie verpflichtend sind, aber auch welche Bürgerrechte sie für sich und ihren Glauben einfordern können.

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