Ein Pizza-Bote statt dem starken Mann?

Demokratie und Politiker sind massiv in Verruf. Sie haben allen Grund, verlorenes Vertrauen zurückzuerobern.
Josef Votzi

Josef Votzi

Ein Pizza-Bote statt dem starken Mann?

von Josef Votzi

über Politik auf Fast-Food-Niveau

Bruno Kreisky war einst stolz darauf, dass ihn jeder Staatsbürger anrufen konnte. Wer immer seine private Telefonnummer wählte, kam zumindest an den diensthabenden Staatspolizisten – und, wenn es passte, auch an den Kanzler himself. Opulente Inszenierungen waren gerade dem "Sonnenkönig" nicht fremd. Anfang der 70er-Jahre war der Aufwand dafür freilich überschaubar. Für ein nachhaltiges Medienecho reichte damals, dass Kreisky Journalisten, die gerade in seinem Wohnzimmer zu Gast waren, demonstrativ zuhören ließ.

Heute schirmen sich selbst die Chefs kleinerer Oppositionsparteien mit einem halben Dutzend PR-Spezialisten gegen ungeplante Kommunikationswünsche ab. Das Setting, Politiker sucht Kontakt mit Bürger in dessen Wohnzimmer mit einer Schachtel frisch dampfender Pizza in der Hand, ist so Garant für einen Quoten-Renner.

Es ist allzu billig, sich über Christian Kerns Pizza-Video in extenso zu alterieren. Nachdenklich stimmen sollte aber allemal: Ist die Politik endgültig auf Fast-Food-Niveau angekommen? Zwischen Kreiskys beschaulicher Festnetz-Ära und Kerns daueraufgeregtem Social-Media-Zeitalter liegen nicht nur Jahrzehnte, sondern Welten. Regieren war dank absoluter Mehrheiten vergleichsweise bequem. Heute ringen Rot und Schwarz wochenlang um den x-ten Neustart, der doch wieder als Hindernislauf endet. Die großen Weichen werden längst in der EU gestellt – mangels Konsens auch dort oft auf Rot, sprich Stillstand.

Methode Merkel oder Van der Bellen

Neuen Stoff zum Nachdenken lieferte jüngst im KURIER der Historiker Oliver Rathkolb. Ein Viertel der Österreicher wünscht sich einen "starken Führer", der "ohne Rücksicht auf Wahlen und Parlament" das Sagen hat. Das sind doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Jeder zweite will zumindest einen "starken Mann", der, zwar gewählt, als "Führer light" regiert. Rathkolb sucht die Umfrage erst gar nicht schönzureden: "Die Welt ist extrem kompliziert geworden. Die Politik schafft es nicht mehr, komplexe Zusammenhänge einfach zu erklären, ohne Luftblasen zu produzieren. Die Menschen suchen jemanden, dem sie vertrauen können." Heute Pizzabote, morgen Taxifahrer, übermorgen Gastwirt, um als Spitzenpolitiker verlorenes Vertrauen zurückzuerobern? Es gibt kaum einen Beruf, der derart in Verruf ist wie der des Sachwalters gemeinsamer Interessen. Die Auswege entstehen – frei nach Alfred Gusenbauer – im Gehen und sind nicht beliebig kopierbar.

Angela Merkel belegt, dass man sich zäh, aber nachhaltig Autorität erarbeiten kann, ohne sich anzubiedern. Die deutsche Kanzlerin, deren Flüchtlingspolitik zuletzt massiv polarisierte, ist dabei, die Hürde der Wiederwahl für eine vierte Amtsperiode zu überspringen.

Alexander Van der Bellen wurde im Wahlkampf belächelt, weil er in ländlicher Tracht auf Kirtagen auftauchte. Wahlanalysen belegen, dass ihm nicht die urbanen Bobos, sondern die ländlichen Mitbürger die entscheidenden letzten Meter in die Hofburg ebneten. Erst schloss das Kaufhaus, dann die Post und das Gasthaus – der grüne Städter gab ihnen erfolgreich das Gefühl, die "hohe Politik" habe sie noch nicht ganz vergessen. Widersprüchlich wie vieles in Politik by Pizza-Zeiten wie diesen: Ein hunderttausendfach geklicktes Video soll jetzt virtuell signalisieren, der gelegentlich abgehoben wirkende Kanzler ist selbst nach Dienstschluss ein Politiker zum Anfassen.

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